Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder
weshalb einen Wandteppich hochheben und dahinterspähen? Ich überlegte. Möglich, daß sie mit dem Auftrag hergekommen waren, in meinem Zimmer nach einer geheimen Tür zu suchen. Wahrscheinlich war Edel zu dem Schluß gekommen, Lady Quendel zu töten habe nicht genügt, um ihn von der Laus in seinem Pelz zu befreien. Er saß uns dichter im Nacken, als Chade mir gegenüber zugegeben hatte. Gut eigentlich, daß es mir nie gelungen war herauszufinden, wie der Verschlußmechanismus an dem Zugang zu Chades Malepartus funktionierte. Andere hatten dann vielleicht ebensowenig Glück.
Ich inspizierte jeden Gegenstand im Zimmer, bevor ich ihn in die Hand nahm. Ich sorgte dafür, daß sämtliche Essensreste dorthin verschwanden, wo niemand mehr damit in Berührung kommen würde. Ich schüttete die Eimer und meinen Krug aus dem Fenster. Ich überprüfte Feuerholz und Kerzen auf die Spuren irgendwelcher Manipulationen, mein Bettzeug auf verdächtigen Staub und trennte mich widerstrebend von meinem gesamten Vorrat an Heilkräutern. Es war besser, kein Risiko einzugehen. Soweit ich festzustellen vermochte, war weder etwas aus dem Zimmer entfernt worden, noch befand sich etwas darin, was nicht hineingehörte. Nach einiger Zeit ließ ich mich erschöpft und entnervt auf die Bettkante fallen. In Zukunft hieß es, größere Vorsicht walten zu lassen. Ich legte keinen Wert darauf, eine ähnliche Erfahrung wie der Narr zu machen, und wenn ich das nächstemal mein Zimmer betrat, von einem Sack über den Kopf und einer Faust im Gesicht empfangen zu werden.
Mein Zimmer – plötzlich erschien es mir als beengend, ein Gefängnis, in das ich jeden Tag zurückkehren mußte. Ich ging hinaus und sparte mir die Mühe, abzuschließen. Schlösser waren kein Schutz. Sollten sie glauben, daß ich ihre Schnüffeleien nicht fürchtete. Vortäuschung einer Zuversicht, die ich nicht empfand.
Draußen empfing mich ein milder, klarer Spätnachmittag. Ich faßte den Beschluß, in den Ort hinunterzuwandern, der Rurisk und meinen Schiffsgefährten einen Besuch abzustatten und dann vielleicht in einem Wirtshaus ein Bier zu trinken. Zu lange war ich nicht mehr in Burgstadt gewesen, und viel zu lange hatte ich nicht mehr zugehört, was die einfachen Leute so redeten. Es würde erfrischend sein, für eine Zeitlang den Intrigen von Bocksburg zu entfliehen.
Am Tor stellte sich mir ein junger Wachtposten in den Weg. »Halt!« befahl er und fügte hinzu: »Bitte, Herr«, als er mich erkannte.
Ich blieb stehen. »Ja?«
Er räusperte sich, wurde rot bis zum Haaransatz und schien nicht zu wissen, wie er anfangen sollte.
»Was gibt es denn?« fragte ich.
»Wenn Ihr bitte einen Augenblick warten wollt, Herr«, stieß der Bursche hervor, machte auf dem Absatz kehrt und verschwand im Torhaus. Einen Moment später trat die Wachhabende vom Dienst heraus. Sie musterte mich ernst. Dann sog sie die Luft durch die Nase wie in Vorbereitung auf etwas Unangenehmes und sagte kurz. »Ihr dürft die Burg nicht verlassen.«
»Wie bitte?« Ich glaubte meinen Ohren nicht zu trauen.
Sie richtete sich auf und verschränkte die Hände auf dem Rücken. Mit fester Stimme wiederholte sie: »Ihr dürft die Burg nicht verlassen.«
Eine heiße Wut stieg in mir auf. Ich konnte mich nur mühsam beherrschen. »Auf wessen Befehl?«
Sie ließ sich nicht einschüchtern. »Ich erhalte meine Befehle vom Hauptmann der Wache, Herr. Mehr weiß ich nicht.«
»Ich möchte mit diesem Hauptmann sprechen.«
»Er ist nicht im Torhaus, Herr.«
»Ich verstehe.« Genaugenommen verstand ich nicht. Nicht so ganz. Ich konnte spüren, wie sich von überallher die Schlingen um mich zusammenzogen, doch weshalb ausgerechnet jetzt? Andererseits, weshalb nicht ausgerechnet jetzt? Nachdem Listenreich mehr und mehr die Fäden aus den Händen glitten, war Veritas mein Beschützer geworden, doch er war nicht hier. Ich konnte mich an Kettricken wenden, allerdings nur, wenn ich gewillt war, eine offene Konfrontation zwischen ihr und Edel heraufzubeschwören. All das schoß mir durch den Kopf. Resigniert wollte ich mich abwenden, als ich meinen Namen rufen hörte. Ich drehte mich wieder herum.
Molly kam den steilen Weg von Burgstadt herauf. Der lange Rock schlug ihr beim Laufen um die Knöchel. Sie stolperte und schien am Ende ihrer Kräfte zu sein. »Fitz!« rief sie wieder, und es klang wie ein Hilfeschrei.
Ich wollte zu ihr, aber die Wachhabende verstellte mir den Weg. Sie fühlte sich sichtlich unwohl, aber
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