Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder
durch die Unart, das Gürtelmesser mit der Klinge zum Bauch zu tragen – wie man weiß, verhängnisvoll für eine Frau im gebärfähigen Alter.
Ich schlief nicht. Wann immer es mir gelang, die Sorge um König Listenreich beiseitezuschieben, tauchte Molly in meinen Gedanken auf, an der Seite eines anderen. Ich nahm mir vor, sobald der König und Kettricken in Sicherheit waren, würde ich einen Weg finden, Molly zurückzugewinnen, aus wessen Armen auch immer. Von diesem Entschluß getröstet, drehte ich mich auf die andere Seite und starrte weiter in die Dunkelheit.
Es war immer noch tiefe Nacht, als ich mich geschlagen gab, aufstand und in die Kleider schlüpfte. Ich geisterte die Stallgasse entlang, vorbei an leeren Boxen und schlafenden Tieren, und die Stiege zu Burrichs Kammer hinauf. Er hörte mich an, dann erkundigte er sich behutsam: »Und du bist sicher, daß du nicht einen schlechten Traum hattest?«
»Wenn ja, dann dauert er schon fast mein ganzes Leben«, antwortete ich bitter.
»So kommt es mir auch allmählich vor«, stimmte er zu.
Wir unterhielten uns flüsternd, im Dunkeln, er lag noch im Bett und ich saß daneben auf dem Boden. Ich hatte Burrich davon abgehalten, das Feuer zu schüren oder auch nur eine Kerze anzuzünden, damit nicht jemand den Lichtschein sah und sich wunderte, weshalb er so viel früher als zu seiner gewohnten Stunde munter war. »Wenn wir alles, was er verlangt, in zwei Tagen bewerkstelligen wollen, darf es keine Verzögerungen oder Schwierigkeiten geben. Zu dir bin ich zuerst gekommen. Glaubst du, du kannst es schaffen?«
Er schwieg, und im Dunkeln konnte ich sein Gesicht nicht sehen. »Drei kräftige Pferde, ein Maultier, eine Sänfte, Proviant für drei Personen. Und niemand darf etwas merken.« Wieder Schweigen. »Und ich kann wohl kaum den König und die Königin ins Schlepptau nehmen und einfach zum Tor hinausreiten.«
»Kennst du den Erlenhain, wo der große Fuchsrüde seinen Bau hatte. Warte dort mit den Pferden. Der König und Kettricken werden zu dir kommen.« Es kostete mich Überwindung, hinzuzufügen: »Der Wolf wird sie führen.«
»Müssen nun auch sie wissen, was du tust?« Er war bestürzt über die Vorstellung.
»Ich nutze, was ich an Hilfsmitteln habe. Und ich denke über die Sache anders als du.«
»Wie lange kannst du dein Bewußtsein mit jemandem teilen, der sich kratzt und leckt, der sich in Aas wälzt, beim Geruch eines läufigen Weibchens außer sich gerät und nie weiter denkt als bis zu seiner nächsten Mahlzeit, bevor du davon angesteckt wirst? Was bist du dann?«
»Ein Soldat?«
Trotz des Ernstes unserer Lage stieß Burrich ein schnaubendes Lachen aus. »Ich meinte es ernst«, sagte er dann.
»Ich meine es auch ernst, was den König und die Königin angeht. In Burg Fierant hätte Edel sie völlig in seiner Gewalt; das darf nicht geschehen, und mir ist es gleich, was ich tun muß, um es zu verhindern.«
Er ließ ein paar Minuten verstreichen. »Also soll ich – irgendwie – vier Reittiere und eine Sänfte aus der Burg hinausschmuggeln, ohne Aufmerksamkeit zu erregen?«
Ich nickte im Dunkeln. »Ist es möglich?«
Verdrossen meinte er: »Es sind noch ein oder zwei Knechte da, auf die man sich verlassen kann, aber das ist kein Gefallen, um den man gerne bittet. Ich möchte niemanden für etwas baumeln sehen, das er für mich getan hat. Was die Pferde angeht, man könnte es so aussehen lassen, als gehörten sie zu einer Koppel, die flußaufwärts getrieben wird. Aber meine Burschen sind nicht dumm, ich dulde keine Dummköpfe in meinem Stall. Wenn bekannt wird, daß der König verschwunden ist, werden sie sich schnell einen Reim auf alles machen können.«
»Such einen aus, der den König liebt.«
Burrich seufzte. »Proviant. Keine üppigen Rationen, Marschverpflegung eben. Muß ich auch Winterkleidung beschaffen?«
»Nein. Nur für dich selbst. Kettricken kann anziehen und einpacken, was sie braucht, und Chade wird sich um die Bedürfnisse des Königs kümmern.«
»Chade. Der Name kommt mir bekannt vor, als hätte ich ihn irgendwann schon einmal gehört.«
»Angeblich soll er vor langer Zeit gestorben sein. Früher hat er bei Hofe verkehrt.«
»All diese vielen Jahre im Schatten zu leben«, staunte er.
»Und er hat vor, weiter im Schatten zu bleiben.«
»Du brauchst keine Angst zu haben, daß ich ihn verrate.« Burrich hörte sich gekränkt an.
»Ich weiß. Ich bin nur so…«
»Ich weiß. Lassen wir’s gut sein. Du hast mir
Weitere Kostenlose Bücher