Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder
Bedrängnis, daß ich zögere, sie zu belästigen. Davon abgesehen, die Wurzel, die bei uns Lebelang heißt, gibt es nur in den Bergen. Ein beherzter Kurier könnte das Wagnis vollbringen, meine ich.« Sie nahm einen Schluck Tee.
»Aber wem diesen Auftrag geben, das ist die schwierigste Frage«, gab ich zu bedenken. Hatte sie in Betracht gezogen, was es bedeutete, einen todkranken Greis mitten im Winter auf eine solche Reise zu schicken? Wer sollte ihn begleiten? »Der Mann müßte außerordentlich vertrauenswürdig und willensstark sein.«
»Dieser Mann scheint mir eine Frau zu sein«, scherzte Kettricken und Lady Hoffnungsfroh lachte, wenn auch vermutlich weniger über das Bonmot als deshalb, weil sie ihre Königin in besserer Stimmung sah. »Vielleicht sollte ich selbst gehen, um dafür zu sorgen, daß alles richtig getan wird«, fügte Kettricken hinzu und lächelte über meine verblüffte Miene. Aber der Blick, mit dem sie mich ansah, war ernst.
Es folgten noch ein paar Minuten belangloses Geplauder, und Kettricken zählte eine Reihe größtenteils erfundener Kräuter auf, die ich ihr zu besorgen versprach, sofern möglich. Ich war ziemlich sicher, daß ich begriff, was sie mir sagen wollte. Auf dem Rückweg zu meinem Zimmer fragte ich mich, wie ich sie davon abhalten sollte zu handeln, bevor Chade soweit war. Ich konnte nur hoffen, daß mir etwas einfiel.
Kaum hatte ich meine Tür wieder verriegelt und verrammelt, als ich einen Luftzug im Nacken spürte. Ich drehte mich um und sah die Tür zu Chades Domizil offenstehen. Die Treppe kam mir diesmal besonders lang und steil vor. Ich sehnte mich nach Schlaf, aber ich wußte, wenn ich mich hinlegte, geschah nichts weiter, als daß ich mich von einer Seite auf die andere wälzte.
Essensgeruch stieg mir verlockend in die Nase, als ich das Gemach betrat. Chade hatte bereits an dem gedeckten Tisch Platz genommen. »Setz dich und iß«, forderte er mich ungeduldig auf. »Wir müssen uns beraten.«
Er ließ mir gerade Zeit, zweimal von einer Fleischpastete abzubeißen, bevor er mich leise fragte: »Wie lange glaubst du, könnten wir König Listenreich in diesen Räumen verborgen halten, unentdeckt?«
Ich kaute und schluckte. »Mir ist es bis jetzt noch nie gelungen, einen Weg in dieses Zimmer zu finden.«
»Oh, aber es gibt sie. Und weil Lebensmittel und andere notwendige Dinge gebracht und geholt werden müssen, gibt es einige wenige, die sie kennen, ohne allerdings genau zu wissen, was sie wissen. Mein Bau ist mit Räumen in der Burg verbunden, die regelmäßig mit Vorräten versehen werden, doch mein Leben war erheblich einfacher, als man noch glaubte, Lady Quendel sei die Empfängerin all der guten Gaben.«
»Wie wird es dir ergehen, wenn Edel nach Burg Fierant gegangen ist?«
»Bleibt abzuwarten. Manches läuft in eingefahrenen Bahnen weiter wie bisher, sofern die Leute, die mit den betreffenden Pflichten betraut waren, hierbleiben, heißt das. Doch wenn die Nahrungsmittel knapp werden, wird man sich fragen, weshalb Vorräte in einem leerstehenden Teil der Burg lagern. Aber wir sprachen von Listenreichs Wohlergehen, nicht von meinem.«
»Es hängt davon ab, auf welche Weise der König verschwindet. Falls es den Anschein hat, daß er auf normalem Weg geflohen ist, wäre er hier eine Zeitlang sicher. Doch wenn Edel weiß, daß er sich noch in der Burg befindet, wird er vor nichts zurückschrecken, um ihn zu finden. Ich könnte mir denken, sein erster Befehl wäre, daß man mit Hämmern die Wände im Schlafgemach des Königs einreißt.«
»Plump, aber wirkungsvoll«, nickte Chade.
»Hast du einen Zufluchtsort für ihn gefunden, in Bearns oder Rippon?«
»So kurzfristig? Selbstverständlich nicht. Wir müßten ihn hier verstecken, für Tage, vielleicht Wochen, bevor eine Freistatt für ihn hergerichtet wäre. Und ihn dann aus der Burg schmuggeln. Dazu ist es nötig, die Torwachen zu bestechen. Leider haben Männer, die sich bestechen lassen, die unglückselige Neigung, für Geld später darüber zu reden. Es sei denn, sie hätten diesen oder jenen Unfall.« Er schaute mich an.
»Darum mach dir keine Sorgen, es gibt noch andere Möglichkeiten, aus Bocksburg hinauszukommen.« Ich dachte an Nachtauges Weg. »Wir haben ein viel größeres Problem, und das ist Kettricken. Sie wird auf eigene Faust etwas unternehmen, wenn wir sie nicht bald in unser Vorhaben einweihen. Heute abend hat sie vorgeschlagen, zusammen mit dem König die Flucht ins Bergreich zu
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