Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder
Brot und Pasteten hätten unsere Gäste in ihrem Quartier erwarten müssen, Wasserkessel und Becher und Teekräuter und Flaschen mit Wein. Ich schämte mich für den neuen, schäbigen Geist, der in Bocksburg herrschte. Fidea wachte im Hintergrund wie ein Falke, und ich fragte mich unwillkürlich, wo Zelerita war.
Wir tauschten ein paar Höflichkeitsfloskeln, dann kam Brawndy ohne Umschweife zur Sache. »Man hat mir gesagt, König Listenreich sei krank, zu krank, um seine Herzöge zu empfangen. Prinz Edel ist selbstverständlich zu sehr von den Vorbereitungen für den morgigen Tag in Anspruch genommen.« Der Sarkasmus troff von seinen Worten wie fette Sahne. »Deshalb faßte ich den Entschluß, Ihre Hoheit, Königin Kettricken aufzusuchen. Wie Ihr wißt, hat sie mir bei einer früheren Gelegenheit großes Wohlwollen bezeigt. Doch an ihrer Tür wurde mir von ihren Frauen gesagt, sie sei nicht wohl und dürfe keine Besucher empfangen. Mir ist zu Ohren gekommen, sie sei gesegneten Leibes, doch in ihrem Gram und wegen der Torheit, selbst zu Pferde zu steigen, um Rippon gegen die Korsaren zu helfen, habe sie das Kind verloren. Verhält es sich so?«
Ich holte tief Atem und hoffte, daß es mir gelang, für meine Erwiderung die richtigen Worte zu wählen. »Unser König ist in der Tat sehr krank. Ich glaube nicht, daß Ihr ihn zu Gesicht bekommen werdet, außer bei der Zeremonie. Auch unsere Königin ist leidend, doch ich bin überzeugt, daß sie Euch empfangen hätte, wenn man ihr gesagt hätte, Ihr stündet in eigener Person vor der Tür. Sie hat das Kind nicht verloren. Nach Guthaven ist sie aus demselben Grund geritten, der sie bewogen hat, Euch die Opale zu schenken, nämlich in der Befürchtung, daß niemand handeln wird, wenn sie es nicht tut. Auch war es nicht ihre kühne Tat, die das Kind gefährdet hat, sondern ein Sturz auf der Turmtreppe hier in Bocksburg. Und dem Kind ist nichts geschehen, auch wenn unsere Königin sich schmerzhafte Prellungen zugezogen hat.«
»Ich verstehe.« Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und versank in Nachdenken. Das Schweigen zwischen uns schlug Wurzeln und wuchs, doch endlich beugte er sich vor und bedeutete mir, das gleiche zu tun. Mit gedämpfter Stimme fragte er: »FitzChivalric, habt Ihr Ambitionen?«
Der Augenblick war gekommen. König Listenreich hatte es mir vor Jahren prophezeit, Chade erst kürzlich. Weil ich nicht gleich antwortete, sprach Brawndy weiter, langsam und bedeutungsvoll, als wäre jedes Wort ein Stein, sorgsam ausgewählt und behauen, bevor er ihn mir reichte. »Der Erbe des Weitseherthrons ist ein noch ungeborenes Kind. Wenn Edel sich erst zum König-zur-Rechten erklärt hat, glaubt Ihr, er wird lange warten, bis er sich die Krone aufs Haupt setzt? Wir glauben es nicht. Wir, die Herzöge von Bearns und Rippon und Shoaks, denn ich spreche für uns alle drei. Listenreich ist alt und hinfällig geworden, König nur noch dem Namen nach. Wir haben einen Vorgeschmack davon erhalten, was von Edel als Herrscher zu erwarten ist. Wie wird es uns ergehen, wenn Edel regiert, bis Veritas’ Kind mündig geworden ist? Zumal ich nicht damit rechne, daß das Kind überhaupt das Licht der Welt erblickt, geschweige denn, daß man ihm gestattet, eines Tages den Thron zu besteigen.« Er verstummte, räusperte sich und schaute mich unter gesenkten Brauen hervor an. Fidea stand bei der Tür, als sei sie zur Wächterin unseres Geheimnisses berufen. Ich schwieg.
»Ihr seid ein Mann, den wir kennen, Sohn eines Mannes, den wir respektierten. Ihr habt sein Aussehen geerbt und fast seinen Namen. Es haben Männer mit weniger gutem Anspruch eine Krone getragen.«
Ich schwieg weiter. War es mein eigenes Wunschdenken, das mich hier einen Köder ahnen ließ? Noch hatte er nichts gesagt, was nach Anstiftung zum Hochverrat klang, es war nichts dabei, wenn ich ihn weiter anhörte.
Er suchte nach Worten. Dann hob er den Blick und sah mir in die Augen. »Die Zeiten sind hart.«
»Das sind sie«, stimmte ich ihm zu.
Er betrachtete seine Hände. Kräftige Hände, denen man ansah, daß sie zuzupacken verstanden. Sein Hemd war frisch gewaschen und geflickt, doch es war nicht eigens für diesen Anlaß geschneidert worden. In Bocksburg mochten die Zeiten hart sein, in Bearns waren sie härter. Als er die Worte aussprach, geschah es mit bewunderungswürdiger Gelassenheit. »Falls Ihr die Absicht haben solltet, gegen Edel aufzustehen und Euch selbst zum König-zur-Rechten zu erklären, würden
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