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Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder

Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder

Titel: Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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während ich ihm das Dokument vorlas. Als ich geendet hatte, lehnte er sich seufzend zurück. »Nun laß mich einmal deine Schreibarbeit sehen«, forderte er, und verwundert reichte ich ihm die Schriftrolle. Zum zweiten Mal studierte er sie eingehend, rollte sie dann wieder zusammen und gab sie mir zurück. »Du verstehst mit der Feder umzugehen, Junge. Gut geschrieben und gut gemacht. Geh damit in Veritas’ Kartenzimmer und sieh zu, daß er sie liest.«
    »Wie Ihr befiehlt, Majestät.« Ratlos hielt ich inne. Aus welchem Grund diese Wiederholung, und erwartete er irgendeine besondere Reaktion von mir? Der Narr erhob sich. Es war nur die Andeutung eines Blicks, die Ahnung einer hochgezogenen Braue, eines zuckenden Mundwinkels, doch genug, um mir Schweigen anzuraten. Unter Scherzen und munterem Geplauder räumte er das Geschirr zusammen, dann waren wir beide entlassen. Als wir hinausgingen, schaute der König sinnend in die Flammen.
    Draußen im Gang wollte ich die Frage stellen, die mir auf der Zunge brannte, aber der Narr begann zu pfeifen und hörte nicht auf, bis wir auf halber Treppe waren. Auf dem Absatz zwischen den Stockwerken hielt er mich am Ärmel fest, und wir blieben stehen. Ich ahnte, daß er diese Stelle mit Überlegung gewählt hatte, niemand konnte sich hier unbemerkt heranschleichen und uns belauschen. Wer zu mir sprach, war aber nicht der Narr selbst, sondern die Ratte an der Spitze des Zepters. Er hielt sie mir vor die Nase und piepste mit Fistelstimme. »Du und ich, Fitz, wir müssen uns merken, was er vergißt, und es für ihn bewahren. Es kostete ihn viel Kraft, so bestimmt aufzutreten wie heute abend, laß dich nicht täuschen. Was er zweimal zu dir gesagt hat, mußt du wertschätzen und pünktlich ausführen, denn es bedeutet, er hat es sich doppelt so fest eingeprägt, um sicher zu sein, daß er es nicht vergißt.«
    Ich nickte und nahm mir vor, noch an diesem Abend Veritas die Schriftrolle zu überbringen. »Dieser neue Kammerdiener, Wallace, gefällt mir nicht«, äußerte ich.
    »Freund Walroß gefällt dir nicht? Aber er ist gefällig, Fitz, überaus gefällig. Lauscher an der Wand und Edel ein Wohlgefallen.« Mit kühnem Schwung setzte er das Tablett auf eine flache Hand, hob es hoch über den Kopf und hüpfte die Treppe hinunter. Mich überließ er meinen Gedanken.
    Ich überbrachte die Schriftrolle noch an jenem Abend, und an den darauffolgenden Tagen widmete ich mich der Erfüllung des Auftrags, den Veritas mir gegeben hatte. Fette Wurst und Räucherfisch dienten mir als Vehikel für das Gift, kleine Bündel, die ich auf der Flucht verlieren konnte, in der Hoffnung, die Menge ausreichend bemessen zu haben. Jeden Morgen studierte ich Veritas’ Karte, sattelte Rußflocke und ritt mit meinen verderbenbringenden Päckchen dorthin, wo die größte Wahrscheinlichkeit bestand, auf Entfremdete zu treffen. Gebranntes Kind scheut Feuer – auf meinen Expeditionen trug ich ein kurzes Schwert, was bei Flink und Burrich für einige Belustigung sorgte. Ich behauptete, daß ich versuchte, Wild aufzuspüren, für den Fall, daß Veritas den Wunsch äußerte, eine Winterjagd zu veranstalten. Flink sah keinen Grund, an der Geschichte zu zweifeln. Aber Burrichs zusammengepreßte Lippen verrieten mir, daß er meine Lüge durchschaute, jedoch begriff er, daß ich ihm die Wahrheit nicht sagen konnte. Er verzichtete darauf, in mich zu dringen, doch es gefiel ihm nicht.
    Zweimal in zehn Tagen wurde ich von Entfremdeten angegriffen, beide Male konnte ich ohne Mühe entfliehen und ›verlor‹ dabei den vergifteten Proviant aus meinen Satteltaschen. Sie nahmen sich kaum die Zeit, den Inhalt auszuwickeln, bevor sie sich Wurst und Fisch in den Mund stopften. Jedesmal kehrte ich am nächsten Tag an den Tatort zurück, um für Veritas zu dokumentieren, wie viele Tote es waren und wie sie aussahen. Auf die Mitglieder der zweiten Gruppe paßte keine unserer Beschreibungen, woraus folgerte, daß es mehr Entfremdete gab als uns bekannt war.
    Ich tat meine Arbeit, aber stolz war ich nicht darauf. Tot wirkten die Opfer der Roten Korsaren noch mitleiderregender als lebendig – zerlumpte, ausgemergelte Kreaturen, halb erfroren und gezeichnet von den Kämpfen untereinander, und der Todeskampf infolge der schnellwirkenden, radikalen Gifte, die ich benutzte, verkrümmte ihre Körper zu grotesken Zerrbildern der menschlichen Gestalt. Reif glitzerte in ihren Bärten und Augenbrauen, und das Blut aus ihren Mündern war im

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