Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder
»Sieh nur!« bemerkte der Narr zu mir. »Sieh nur, wie er sich bemüht, meinen Platz zu Füßen des Königs einzunehmen und mit seinem plumpen Gebaren den Narren zu spielen. Ein solcher Mann verdient den Titel Narr, aber nicht den Posten!«
Listenreich stand in der Tür, wie zur Nachtruhe gekleidet und mit verärgerter Miene. Sein fragender Blick wanderte von dem gedemütigten Wallace zu dem Narren und zu mir. Dann beschloß er, die Sache auf sich beruhen zu lassen. Er wandte sich an seinen Kammerdiener, während dieser sich steifbeinig aufrappelte. »Diese Dämpfe helfen mir nicht im geringsten, Wallace. Sie verursachen mir Kopfschmerzen und hinterlassen einen üblen Geschmack im Mund. Nimm die Schüssel weg, und Edel kannst du sagen, sein neues Kraut taugt vielleicht dazu, Ungeziefer auszuräuchern, doch nicht, Krankheiten zu lindern. Nimm die Schüssel weg, sage ich, bevor der Gestank auch noch diesen Raum verpestet. Aha, mein närrischer Freund, du bist hier. Und Fitz, endlich kommst du, um mir Bericht zu erstatten. Wallace, hast du nicht gehört? Schaff diese vermaledeite Schüssel hinaus! Durch den hinteren Ausgang, damit unsere Nasen nicht beleidigt werden!« Mit einer Handbewegung scheuchte Listenreich den Mann hinaus, als wäre er eine lästige Fliege, und schloß hinter ihm die Tür zur Badestube, um sicherzugehen, daß der Kräuterdampf sich nicht doch in seinem Schlafgemach einnistete. Kaum hatte er sich anschließend in einem Lehnstuhl am Feuer niedergelassen, als der Narr flugs einen Tisch heranzog, das Tuch, mit dem die Speisen abgedeckt waren, darüber breitete, und im Handumdrehen war aufgedeckt. Silberbesteck und eine Serviette erschienen aus dem Nichts, ein Taschenspielertrick, der selbst Listenreich ein Lächeln abnötigte. Das vollbracht, kauerte der Narr sich am Kamin zusammen, den Kopf zwischen den spitzen Knien, das Kinn in die hohle Hand gestützt. Die tanzenden Flammen verliehen seiner bleichen Haut und dem hellen Haar einen rötlichen Schimmer. Jede einzelne seiner Bewegungen war fließend wie die eines Tänzers, und diese Pose wirkte sowohl anmutig als auch komisch. Der König streckte die Hand, um dem Narren über das plusterige Haar zu streichen, als wäre er ein Kätzchen.
»Ich habe dir gesagt, ich bin nicht hungrig, Narr.«
»Das habt Ihr. Doch Ihr habt mir nicht gesagt, ich dürfte Euch nichts zu essen bringen.«
»Und wenn ich es gesagt hätte?«
»Dann würde ich Euch sagen, dies ist keine Suppe, sondern einer von Walrossens Dampftöpfen, um Eure Nase nach soviel Mißvergnügen mit einem angenehmeren Aroma zu versöhnen. Und dies wäre nicht Brot, sondern ein Pflaster für Eure Zunge, das Ihr sogleich auflegen solltet.«
»Ah.« König Listenreich zog den Tisch näher heran und tauchte den Löffel in die Suppe. Aus dicker Grütze lugten Karottenwürfel und Fleischstücke. Er kostete und begann zu essen.
»Bin ich nicht wenigstens ein ebenso guter Medikus wie Freund Walroß?« gluckste der Narr, sichtlich mit sich zufrieden.
»Wie du sehr wohl weißt, ist Wallace kein Arzt, sondern lediglich mein Diener.«
»Wohl weiß ich es, und wohl wißt Ihr’s, doch Walroß weiß es nicht, und deshalb seid Ihr nicht wohl.«
»Genug von deinem Geplapper. Komm näher, Fitz, steh nicht herum wie ein grinsender Einfaltspinsel. Was hast du mir zu sagen?«
Ich beschloß, weder den König noch den Narren dadurch zu beleidigen, daß ich fragte, ob ich in Gegenwart des letzteren offen sprechen dürfte. Mein Bericht fiel kurz und nüchtern aus, von der Geheimmission erwähnte ich nur das Ergebnis. Listenreich lauschte aufmerksam. Als ich zu Ende war, äußerte er nichts weiter als einen milden Tadel wegen meines ungebührlichen Benehmens an der Tafel des Herzogs. Anschließend erkundigte er sich, ob Herzog Brawndy von Bearns gesund sei und zufrieden mit der Lage seiner Provinz. Ich erwiderte, meines Erachtens habe es den Anschein gehabt. Listenreich nickte und erkundigte sich nach der Kopie der Schriftrolle, derenthalben ich die Reise unternommen hatte. Ich nahm sie heraus und zeigte sie ihm und wurde mit einem Lob für die Sorgfalt meiner Arbeit belohnt. Er trug mir auf, sie ins Kartenzimmer zu bringen und Veritas vorzulegen.
Als nächstes fragte er nach dem Artefakt der Uralten. Ich gab ihm eine genaue Schilderung. Die ganze Zeit über hockte der Narr am Kamin und beobachtete uns, reglos wie eine Eule. Unter seinen wachsamen Blicken verzehrte König Listenreich die Suppe und das Brot,
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