Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder
eins. Ich handelte, ohne mich lange zu fragen, was meine zukünftige Königin hier draußen tat, nachts, ohne Gefolge und bedrängt von Räubern. Im Gegenteil, ich bewunderte, wie sie sich im Sattel hielt, ihr Pferd kreisen ließ und sich mit Tritten und Hieben die Männer vom Leib hielt, die sie zu Boden zerren wollten. Ich zog mein Schwert, als wir den Kampfplatz erreichten, aber ich kann mich nicht erinnern, daß ich gerufen oder geschrien hätte. Meine Erinnerung an den Vorfall ist merkwürdig, ein Schattentheater wie bei den Bergvölkern, schwarzweiß, lautlos, bis auf das Ächzen und Schreien der Entfremdeten, die einer nach dem anderen fielen.
Kettricken hatte einem der Angreifer die Schärfe der Klinge durchs Gesicht gezogen, so daß ihm das Blut in die Augen lief, trotzdem ließ er nicht von ihr ab. Der andere kümmerte sich nicht um die Not seiner Kumpane, sondern riß statt dessen an Satteltaschen, die wahrscheinlich nicht mehr enthielten als etwas Proviant und Branntwein für einen Tagesausflug.
Die Gestalt, die sich an Federleichts Zaumzeug hängte, war eine Frau; als mein Schwert in ihren Körper biß, war es nicht anders als Holzhacken. Was für ein seltsames Gefecht. Ich spürte Kettricken und auch die Angst ihres Pferdes und Rußflockes kampferfahrene Begeisterung, doch von den Angreifern nichts. Gar nichts. Keine brodelnde Wut, kein greller Schmerz ihrer Wunden. Für mein Gespür waren sie nicht mehr als der Schnee oder der Wind, die sich mir ebenfalls feindlich zeigten.
Wie im Traum sah ich Kettricken einem ihrer Gegner den Kopf nach hinten reißen, damit sie ihm die Kehle durchschneiden konnte. Blut quoll hervor, schwarz im Mondschein, tränkte ihren Mantel und hinterließ einen schimmernden Überzug auf Hals und Schulter ihres Pferdes, bevor der Sterbende zuckend in den Schnee sank. Ich schwang mein Kurzschwert gegen den letzten Angreifer, verfehlte ihn jedoch, dafür fuhr ihm Kettrickens Dolchmesser durch das Wams zwischen die Rippen und blitzschnell wieder heraus. Mit einem Tritt stieß sie ihn von sich. »Zu mir«, befahl sie kurz, ohne mich anzusehen, setzte die Sporen ein und trieb Federleicht geradewegs den Hang hinauf. Rußflocke dachte nicht daran zurückzubleiben, deshalb erreichten wir beide gleichzeitig den Hügelkamm und sahen flüchtig die Lichter der Burg in der Ferne, bevor unsere Pferde durch den frisch gefallenen Schnee hangabwärts pflügten.
Unten gab es Buschwerk und einen Bach, unter der weißen Decke nicht zu sehen, deshalb trieb ich Rußflocke mit Hackenstößen nach vorn und drängte Federleicht ab, bevor sie dort hineingeriet und womöglich stürzte. Kettricken sagte nichts dazu. Sie duldete stillschweigend, daß ich die Führung übernahm, als wir am anderen Ufer in den Wald eindrangen. Im Dunkeln, bei den trügerischen Bodenverhältnissen, konnten wir die Pferde nicht laufen lassen, und jeden Moment rechnete ich damit, feindliche Gestalten auftauchen zu sehen, die sich heulend auf uns stürzten. Doch endlich erreichten wir die Straße, gerade als die Wolkendecke sich wieder schloß und uns des spärlichen Sternenlichts beraubte. Die Pferde durften langsamer gehen und verschnaufen. Einige Zeit ritten wir schweigend nebeneinander und lauschten beide auf Geräusche möglicher Verfolger.
Nach einer Weile fiel die Spannung von uns ab, und Kettricken stieß seufzend den Atem aus. »Ich danke dir, Fitz«, sagte sie schlicht. Trotz aller Selbstbeherrschung zitterte ihre Stimme. Ich schwieg und erwartete halb, daß sie jeden Moment in Tränen ausbrach. Wer hätte ihr einen Vorwurf machen wollen? Statt dessen gewann sie nach und nach ihre Fassung wieder, zog ihre Kleider zurecht und wischte das Schwert an der Hose ab. Schließlich beugte sie sich vor, um Federleicht über den Hals zu streichen, sie zu loben und ihr gut zuzureden. Ich konnte fühlen, wie das Tier sich beruhigte, und bewunderte das Geschick, mit dem Kettricken sich so bald das Vertrauen der Stute erworben hatte.
»Weshalb bist du hier?« fragte sie dann. »Hast du mich gesucht?«
Ich schüttelte den Kopf. Es fing wieder an zu schneien. »Ich war auf der Jagd und habe mich weiter von der Burg entfernt, als ich eigentlich wollte. Dieses Zusammentreffen ist ein Zufall.« Nach einer kleinen Pause erkundigte ich mich: »Habt Ihr Euch verirrt? Wird man Suchtrupps nach Euch aussenden?«
Sie holte tief Atem. »Wahrscheinlich nicht«, meinte sie. »Ich bin mit Edel ausgeritten. Ein paar andere haben uns begleitet,
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