Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder
weißen Schnee zu Rubinen erstarrt. Sieben Entfremdete tötete ich auf diese Weise, häufte dann Pechkiefer auf ihre Leichen, goß Öl darüber und setzte den Scheiterhaufen in Brand. Ich kann nicht sagen, was mich mehr anwiderte, die Tat selbst oder das Beseitigen der Spuren. Cub hatte anfänglich darum gebettelt, mitkommen zu dürfen, als er merkte, daß ich jeden Morgen nach der Fütterung fort ritt. Doch einmal, als ich mich über die steifgefrorenen Leiber der von mir Ermordeten beugte, hörte ich: Das ist kein Jagen. Das ist nicht Rudelwerk, das ist Menschenwerk. Er hatte sich aus meinem Kopf zurückgezogen, bevor ich ihm Vorwürfe machen konnte, daß er wieder ungebeten in mein Bewußtsein eingedrungen war.
An den Abenden kehrte ich in die Burg zurück, zu einer warmen Mahlzeit und knisterndem Feuer, trockenen Kleidern und einem weichen Bett, aber die Geister der Entfremdeten standen zwischen mir und diesen Wohltaten. Ich kam mir vor wie ein kaltherziger Unmensch, daß ich fähig war, nach meinem grausigen Tagewerk solche Dinge zu genießen. Mein einziger Trost, auch dieser nicht frei von Gewissensbissen, war, daß ich nachts, wenn ich schlief, von Molly träumte, mit ihr spazierenging und redete, ungestört von Entfremdeten oder deren reifbedeckten Leichen.
Eines Tages brach ich später auf als geplant, weil Veritas in seinem Kartenraum gewesen war und mich im Gespräch zu lange aufgehalten hatte. Ein Wetter zog auf, aber es sah nicht aus, als würde es allzu schlimm. Ich hatte an diesem Tag nicht vor, weit zu reiten, doch statt des Wildes, das ich jagte, fand ich frische Spuren von einer unerwartet großen Bande. Also machte ich mich an die Verfolgung. Die Wolken türmten sich viel schneller auf, als ich erwartet hatte, es herrschte ein trübes Zwielicht, und die Spur führte Wildwechsel entlang, auf denen Rußflocke und ich nur langsam vorankamen. Als ich schließlich den Blick von der Fährte hob und einsehen mußte, daß ich an diesem Tag kein Glück haben würde, stellte ich fest, daß ich mich tief in einem pfadlosen Niemandsland befand, weitab jedes gebahnten Weges.
Der Wind wehte stärker, ein beißender, kalter Wind, der nach Schnee roch. Ich wickelte mich fester in meinen Umhang, wandte Rußflockes Kopf in Richtung Heimat und überließ es ihr, den Weg zum Stall zu finden. Es wurde dämmerig und tatsächlich fing es an zu schneien. Hätte ich diese Gegend in letzter Zeit nicht kreuz und quer durchstreift, wäre ich ernsthaft in Gefahr gewesen, die Orientierung zu verlieren. Doch Rußflocke trug mich unbeirrt weiter, gegen den Wind, der mir den Atem vom Mund riß. Die Kälte drang mir bis ins Mark. Ich begann zu frösteln und hatte Angst, dieses Frösteln könnte einen schweren Anfall ankündigen, der hier draußen in der Einsamkeit für mich den Tod bedeuten konnte.
Ich war dankbar, als der Wind endlich eine Lücke in die Wolkendecke riß und die Sterne unseren Weg mit grauer Helligkeit übergossen. Endlich kamen wir schneller weiter, trotz des Neuschnees, durch den Rußflocke waten mußte. Aus einem lichten Birkenwald gelangten wir auf einen Hang, durch Blitzschlag vor ein paar Jahren von seinem gesamten Baumbestand entblößt. Hier pfiff der Wind ungehindert von Nord heran. Ich zog den Umhang vor der Brust zusammen und schlug den Kragen hoch. Meine Ortskenntnis sagte mir, daß von der Hügelkuppe aus die Lichter von Bocksburg zu sehen waren, und hinter noch einem Hügel und einem Tal gab es eine vielbenutzte Straße, die mich geradewegs nach Hause brachte. Deshalb war ich wieder guten Mutes, als wir den mäßig steilen Hang hinaufstrebten. Unvermittelt wie fernes Donnergrollen hörte ich Hufschlag, ein Pferd in stockendem Galopp, als versuchte es davonzupreschen, wurde aber durch etwas behindert. Rußflocke wurde langsamer, dann warf sie den Kopf hoch und wieherte. Im selben Moment sah ich Roß und Reiter aus der Deckung hervorbrechen, hangabwärts und etwas südlich von mir. Zwei Gestalten wurden mitgeschleift, einer klammerte sich an den Brustriemen des Tieres, der andere an das Bein des Reiters. Eine Klinge blitzte, ein Aufschrei, und der Reiter hatte sich eines Angreifers entledigt. Dessen Kumpan jedoch griff nach dem Halfter des Pferdes, und während er sich bemühte, das Tier zum Stehen zu bringen, kamen zwei weitere Verfolger unter den Bäumen hervorgestürmt, um sich auf den Reiter zu stürzen.
Was kam zuerst – daß ich Kettricken erkannte oder Rußflocke die Sporen gab? Es war
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