Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
nach Herzenslust essen und trinken. Geh schon, geh, sei nicht schüchtern.« Sie klopfte mir ermunternd auf die Schulter. Ich wurde vor Verlegenheit rot, als ich begriff, daß sie mich für einen Bettler hielt, aber wahrscheinlich war es besser, sie in dem Glauben zu lassen. Wenn ich aussah wie ein Bettler, war es klüger, sich auch so zu benehmen. Trotzdem bereitete es mir Gewissenbisse, die milde Gabe einzustecken, als hätte ich meine gutherzige Wohltäterin betrogen.
Ich leistete ihrer Aufforderung Folge und reihte mich in die Schlange derer ein, die sich um Brot, Fleisch und Früchte angestellt hatten. Hinter den Tischen sorgten etliche junge Frauen für die gerechte Verteilung. Eine von ihnen reichte mir hastig den gefüllten Teller, wie um möglichst schnell von mir befreit zu sein. Ich dankte ihr höflich, worauf ihre Freundinnen in Gekicher ausbrachen und sie ein Gesicht machte, als hätte ich sie mit einer Hure verwechselt. Ich hielt es für besser, mich schleunigst zu entfernen. Nach einigem Suchen fand ich einen freien Tisch, setzte mich und konnte nicht umhin zu bemerken, daß Plätze in meiner Nähe frei blieben. Ein junger Bursche, der Becher aufstellte und sie mit Ale füllte, brachte mir einen und wollte wissen, woher ich käme. Ich sagte ihm nur, ich wäre auf der Suche nach Arbeit den Fluß hinaufgekommen und fragte, ob er jemanden wüßte, der Tagelöhner einstellte.
»Oh, für dich ist der Gesindemarkt in Fierant das richtige«, antwortete er bereitwillig. »Weniger als ein Tagesmarsch von hier. Zu dieser Jahreszeit werden Erntehelfer gesucht, und wenn du da kein Glück hast, gibt es immer noch den Bau an des Königs Rund. Dafür nehmen sie jeden, der mit einer Schaufel umgehen kann oder einen Stein heben.«
»Des Königs Rund?«
Er zog die Augenbrauen hoch. »Damit jeder zusehen kann, wie dem Richterspruch des Königs Genüge getan wird.«
Dann wurde er von jemandem weggerufen, der seinen Krug schwenkte, und ich hatte Muße, mich dem Essen zu widmen und mir das Gehörte durch den Kopf gehen zu lassen. Sie nehmen jeden. So abgerissen und wunderlich sah ich also aus. Nun, nicht zu ändern. Das Essen schmeckte unglaublich gut. Fast vergessen, die braune Kruste und der Duft von frischem Weizenbrot. In den würzigen Fleischsaft getaucht, war jeder Bissen ein Hochgenuß. Ich mußte an Sara denken, Herrin über die Küche von Bocksburg, und ihre Großzügigkeit einem ewig hungrigen Fant gegenüber. Nur ein Stück weiter flußaufwärts, in Burg Fierant, knetete sie jetzt vielleicht Pastetenteig oder spickte einen Braten mit Gewürzen, bevor sie ihn in einen ihrer großen schwarzen Eisentöpfe bettete und gut zugedeckt über Nacht in der Glut schmoren ließ. Ja, und in Edels Ställen machte Flink seine Runde für die Nacht, wie von Burrich gelernt, um sich zu vergewissern, daß jedes Tier frisches Wasser hatte und jede Box ordentlich verriegelt war. Ein Dutzend weitere Stallburschen aus Bocksburg würde ich außer ihm dort treffen können, bekannte Gesichter aus gemeinsam verbrachten Jugendjahren in Burrichs Domäne und unter seiner Fuchtel. Auch Hausdiener hatten Edel nach Fierant begleitet. Mamsell Hurtig und Brant und Lowden und...
Die Einsamkeit überwältigte mich. Wie schön es wäre, sie wiederzusehen, an einen Tisch gelehnt sich anzuhören, was Sara an neuestem Klatsch zu berichten wußte, oder mit Flink oben auf dem Heuboden zu liegen und so zu tun, als glaubte ich haarsträubenden Geschichten über seine Erfolge als Herzensbrecher. Ich versuchte mir Mamsell Hurtigs Entrüstung und ungläubige Bestürzung vorzustellen, wenn sie mich in meinem derzeitigen Aufzug sah und mußte lächeln.
Mein Gedankengang wurde davon unterbrochen, daß ein Mann einen Schwall von Obszönitäten ausstieß. Kein Seemann, wenn auch voll bis zum Halskragen, wäre Schuft genug gewesen, ein Hochzeitsfest durch solchen Unflat zu schänden. Nicht nur ich wandte den Kopf, und für einen Augenblick verstummten alle Gespräche. Ich starrte auf etwas, das mir zuvor entgangen war.
An einer Seite des Platzes, fast außerhalb des Fackelscheins, standen ein Fuhrwerk und ein Gespann. Als Ladung hatte der Wagen einen großen Käfig, und darin kauerten drei Entfremdete. Mehr als das konnte ich nicht erkennen, nur, daß es drei waren und daß ich sie mit der Alten Macht nicht wahrzunehmen vermochte. Die Gespannführerin kam herbeigeeilt, schlug mit einem Knüppel gegen die Käfigstangen und befahl den Insassen zu schweigen,
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