Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
überbrachten Nachrichten, nicht Falken.
Die Handschrift war altertümlich, winzig und krakelig. Vom Sonnenlicht beschienen, waren die mit hauchfeinem Federstrich gemalten Buchstaben noch schwieriger zu entziffern. Ich setzte mich an den Wegrand und beschattete den Brief mit der Hand. Bei den ersten Worten blieb mir fast das Herz stehen. »Altes Blut grüßt Altes Blut.«
Den Rest zu entziffern, hatte ich meine liebe Not. Das Pergament war an den Rändern eingerissen, die Rechtschreibung eigenwillig, mit Worten mußte aus Platzgründen geknausert werden. Die Warnung stammte von Holly. Ich vermutete aber, daß Rolf der Schreiber gewesen war.
König Edel blies jetzt unverhohlen zur Jagd auf die vom Alten Blut. Denen, die man ihm brachte, versprach er eine Belohnung, falls sie ihm halfen, einen Mann zu finden, der mit einem Wolf umherzog. Meine Freunde in Kräheneck nahmen an, Nachtauge und ich wären diejenigen, auf die er es abgesehen hatte. Wer sich weigerte, sein Handlanger zu sein, mußte damit rechnen, hingerichtet zu werden.
Es stand noch mehr in dem Brief: daß ich meine Witterung an andere des Alten Blutes weitergeben solle und sie bitten, mich nach besten Kräften zu unterstützen. Der Rest war unleserlich, und ich verstaute den Zettel nachdenklich in meinem Gürtel. Dieser leuchtende Tag hatte etwas von seinem Schmelz verloren. Also hatte Will Edel verraten, daß ich noch lebte. Und Edels Angst vor mir war groß genug, dieses Räderwerk in Gang zu setzen. Vielleicht war es gut, daß Nachtauge und ich uns für eine Zeitlang getrennt hatten.
Als die Dämmerung hereinbrach, erstieg ich eine kleine Erhebung auf der Uferböschung. Vor mir, in der inneren Biegung der nächsten Flußschleife, blinkten Lichter. Vermutlich wieder ein Handelsposten oder die Anlegestelle einer Fähre, die Bauern und Hirten eine gefahrlose Überquerung des Flusses ermöglichte. Ich behielt die Lichter im Auge, während ich darauf zuging. Sie versprachen warmes Essen und Menschen und Unterkunft für die Nacht. Nichts hinderte mich daran, dort eine Rast einzulegen und mit den Leuten ein paar Worte zu wechseln. Ein paar Münzen klimperten noch in meiner Börse. Kein Wolf an meiner Seite, der neugierige Fragen herausforderte, kein Nachtauge, der draußen herumstrich und hoffte, daß die Hunde nicht seine Witterung in die Nase bekamen. Niemand, an den ich denken mußte, außer mir selbst. Nun, vielleicht sollte ich mir die Abwechslung gönnen. Vielleicht sollte ich zur Nacht einkehren, einen Becher trinken und mich ein wenig unterhalten. Vielleicht erfuhr ich, wie weit es noch bis Fierant war und schnappte noch die eine oder andere Nachricht auf. Es war Zeit, daß ich mir einen Plan zurechtlegte, wie ich meine Rache an Edel bewerkstelligen wollte.
Es war Zeit, daß ich anfing, auf eigenen Füßen zu stehen.
Kapitel 8
Fierant
Als der Sommer sich golden dem Ende neigte, verdoppelten die Korsaren ihre Bemühungen, sich an der Küste des Herzogtums Bearns so viele Stützpunkte zu schaffen wie möglich, bevor die Winterstürme einsetzten. Sie wußten, wenn sie sich die wichtigsten Häfen gesichert hatten, konnten sie nach Belieben entlang der gesamten Küstenlinie der Sechs Provinzen zuschlagen. Das mochten ihre Erwägungen sein, denn obgleich sie in jenem Sommer bis zum Herzogtum Shoaks hinunter ihr Unwesen getrieben hatten, als die schönen Tage seltener wurden, konzentrierten sie ihre Bestrebungen darauf, sich die Küste von Bearns anzueignen.
Ihre Vorgehensweise war befremdlich. Sie unternahmen keinen Versuch, Städte zu erobern oder die Bevölkerung zu unterwerfen. Ihr einziges Ziel war Zerstörung. Ortschaften, die sie einnahmen, wurden dem Erdboden gleichgemacht, die Bürger, soweit sie nicht geflohen waren, erschlagen oder entfremdet. Manche behielten sie als Sklaven, die schlechter behandelt wurden als Tiere. Man entfremdete sie, sobald man keine Verwendung mehr für sie hatte oder einfach zur Belustigung ihrer Peiniger. Sie errichteten für sich primitive Unterkünfte, als verachteten sie es, sich die Häuser der von ihnen Besiegten anzueignen und darin zu wohnen, statt sie niederzubrennen. Auch unternahmen sie keinen Versuch, feste Siedlungen zu gründen, sondern sie begnügten sich damit, in den wichtigsten Häfen Garnisonen einzurichten, um sicherzugehen, daß sie nicht zurückerobert werden konnten.
Obwohl Shoaks und Rippon dem bedrängten Bearns beistanden, soweit es in ihrer Macht stand, mußten sie ihre eigenen
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