Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
zu Bewußtsein, daß ich nicht tot war.
Ich weichte den blutsteifen Hemdsärmel im Wasser ein, dann löste ich den Stoff behutsam von der Wunde. Kaum mehr als geritzte Haut, die Umgebung rot und geschwollen, doch keine Symptome einer Vergiftung, jetzt erst fiel mir ein, daß ich das Messer in dieser Nacht zweimal benutzt hatte, um zu töten, und wenigstens einmal hatte ich es abgewischt. Vermutlich war nur noch ein geringer Rest Gift an der Klinge gewesen, als ich sie gegen mich selbst wandte.
Plötzlich sah ich wie Morgenrot einen Hoffnungsschimmer am Horizont. Man würde nach einem Toten suchen oder nach einem Sterbenden, längst zu schwach, um sich auf dem Pferderücken zu halten. Die ganze Kordiale war Zeuge meiner Tat gewesen und mußte gespürt haben, daß ich fest daran glaubte, dem Tod geweiht zu sein. Konnten sie Edel davon überzeugen, daß ich aus dem Weg geräumt war? Besser, nicht darauf zu bauen, aber ich konnte es hoffen. Ich stieg wieder auf und setzte meinen Ritt fort. Pfeil trug mich an Bauernhöfen, Kornfeldern und Obstplantagen vorüber, und an Bauern, die auf zweirädrigen Karren ihre Erzeugnisse zum Markt brachten. Ich schaute nicht links, nicht rechts und hielt den Arm an die Brust gedrückt. Schon bald würde man den Wachen auftragen, die Leute zu befragen, die in die Stadt kamen, also war es ratsam, daß ich meine Rolle spielte.
Endlich sahen wir Flächen unbebauten Bodens, auf dem Schafe oder Haragar weideten. Am frühen Nachmittag tat ich, was ich tun mußte. An einem von Buschwerk gesäumten Bachlauf tränkte ich Pfeil noch einmal und drehte dann seinen Kopf in Richtung Fierant. »Heim in den Stall, alter Junge«, sagte ich zu ihm, und als er sich nicht rührte, gab ich ihm einen aufmunternden Klaps auf die Flanke. »Hopp, lauf zu Flink. Sag ihnen allen, daß ich irgendwo tot am Wegesrand liege.« Ich dachte ihm das Bild seiner Krippe, randvoll mit Hafer, von dem ich wußte, daß er ihn liebte. »Los jetzt, Pfeil, lauf zu!«
Er schnoberte neugierig zu mir hin, entfernte sich tänzelnd ein paar Schritte, hielt inne und blickte zu mir zurück, ob ich vielleicht mit ihm Fangen spielen wollte. »Lauf! Lauf nach Hause!« schrie ich ihn an und stampfte mit dem Fuß auf. Er scheute, dann fiel er in seinen raumgreifenden Trab, und mir blieb nur mehr übrig, ihm hinterherzuschauen. Der Gewaltritt schien ihn nicht einmal sonderlich ermüdet zu haben. Wenn er reiterlos zurückkehrte, glaubte man vielleicht, daß ich tot wäre, und konzentrierte sich auf die Suche nach einem Toten, statt zu überlegen, wohin sich der Lebende wenden könnte. Das Opfer war notwendig, um meine Verfolger in die Irre zu führen. Außerdem erregte ich zu Fuß weniger Aufsehen, als wenn ich am hellichten Tag, wo alle es sehen konnten, auf des Königs eigenem Roß einherparadierte. Pfeils Hufschlag verklang. Ich fragte mich, ob ich je wieder ein so edles Tier reiten würde, ganz zu schweigen davon, ein solches mein eigen zu nennen. Sehr wahrscheinlich war es nicht.
Komm zu mir! Der Befehl hallte noch immer in meinem Kopf wider.
»Ich bin unterwegs«, antwortete ich der körperlosen Stimme. »Erst muß ich mir etwas zu essen beschaffen und ein paar Stunden schlafen, aber ich bin unterwegs.«
Ich verließ die Straße und folgte dem Bachlauf in dichter bewaldetes Gebiet. Vor mir lag ein langer und anstrengender Weg, und in Angriff nehmen mußte ich ihn mit kaum mehr als den Kleidern, die ich am Leib trug.
Kapitel 10
Gesindemarkt
Sklaverei ist in den Chalced-Staaten Tradition und eine der Säulen ihrer Wirtschaft. Angeblich handelt es sich bei den Sklaven um Kriegsgefangene, aber viele der Männer und Frauen, denen die Flucht in die Sechs Provinzen gelungen ist, berichten davon, bei Piratenüberfällen verschleppt worden zu sein. Chalceds Regierung leugnet zwar solche Praktiken, aber sie leugnet auch, daß man sich gegenüber den von den Handelsinseln aus operierenden Piraten unangemessen tolerant zeigt. Beides geht Hand in Hand.
In den Sechs Provinzen hält man nichts von Sklaverei. Die meisten der früheren Grenzkonflikte zwischen Shoaks und Chalced entzündeten sich weniger an wirklichen Uneinigkeiten wegen des Grenzverlaufs als vielmehr an der Sklavenfrage. Bürger von Shoaks wollten nicht hinnehmen, daß Soldaten, die in Kämpfen verwundet oder gefangengenommen wurden, für den Rest ihres Lebens in der Sklaverei schmachten mußten. Jeder verlorenen Schlacht gegen Chalced folgte unmittelbar ein weiterer,
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