Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
hatten, oder sie fanden, die zu erwartende Beute sei der Mühe nicht wert. Hin und wieder überholten uns reitende Boten oder Reisende zu Pferd. Einmal war es ein Trupp Soldaten in den Farben Farrows. Mit einem Gefühl des Unbehagens sah ich sie an unserem Treck vorbeireiten, als scharrte ein Tier flüchtig an den Mauern, die mein Bewußtsein abschirmten. War ein Gabenkundiger bei ihnen, Burl oder Carrod oder gar Will? Ich redete mir ein, daß es nur der Anblick der braun-goldenen Waffenröcke war, der mich aus der Ruhe brachte.
An einem anderen Tag statteten uns drei Angehörige des Nomadenstamms, auf dessen Gebiet wir uns befanden, einen Besuch ab, zwei erwachsene Frauen und ein Knabe. Sie ritten auf zähen, kleinen Pferden, die nur mit einem Halfter gezäumt waren. Alle drei waren blond und von der Sonne dunkelbraun gebrannt. Die tätowierten Streifen im Gesicht des Jungen ähnelten der Zeichnung einer getigerten Katze. Bei ihrem Auftauchen machte die Karawane halt. Madge breitete ein Tuch auf dem Boden aus und brühte einen besonderen Tee, den sie ihnen zusammen mit kandierten Früchten und Malzzuckerkuchen anbot. Es wurden keine Münzen gegeben oder genommen. Offenbar ging es nur um Demonstration von Gastfreundschaft und Einvernehmen. Aus dem Verhalten der Nomaden schloß ich, daß sie Madge bereits seit langem kannten und nun ihren Sohn darauf vorbereiteten, das bestehende Arrangement fortzuführen.
Aber die meisten Tage verliefen nach immer demselben eintönigen Schema. Wir standen auf, wir aßen, wir nahmen die nächste Etappe in Angriff. Wir machten halt, wir aßen, wir schliefen. Eines Tages ertappte ich mich bei dem Gedanken, ob Molly unserer Tochter beibringen würde, Kerzen zu machen und Bienenstöcke anzulegen. Was konnte ich sie lehren? Die Herstellung und Anwendung von Giften und Strangulationstechniken? Nein. Schreiben und Rechnen sollte sie von mir lernen und alles, was Burrich mir je über Pferde und Hunde beigebracht hatte. Das war der Tag, an dem ich merkte, daß ich wieder nach vorn schaute, in die Zukunft plante, für ein Leben nach Veritas. Meine Tochter war jetzt noch ein Säugling, der an Mollys Brust lag und mit großen Augen auf eine für sie neue Welt schaute. Sie war noch zu klein, um zu wissen, daß etwas fehlte – ihr Vater. Ich würde bei ihnen sein, bevor sie lernte ›Papa‹ zu sagen, rechtzeitig genug, um ihre ersten Schritte zu erleben.
Dieser Entschluß veränderte etwas in mir. Nie hatte ich mich auf etwas so sehr gefreut. Diesmal war ich nicht unterwegs, um den Tod zu bringen, sondern mir war ein Leben anvertraut, und ich malte mir aus, wie ich Wissen und Fertigkeiten an sie weitergab, stellte mir vor, wie sie heranwuchs, klug und schön, und wie sie ihren Vater liebte und nicht wußte noch je erfahren würde, welches andere Leben er einmal geführt hatte. Sie kannte mich nicht mit einem glatten Gesicht und einer geraden Nase. Für sie hatte ihr Vater schon immer so ausgesehen wie jetzt. Daran lag mir viel. Also würde ich Veritas’ Ruf folgen, weil ich nicht anders konnte, weil er mein König war, und weil ich ihn liebte, und weil er mich brauchte. Doch ihn zu finden bezeichnete nicht mehr das Ende meiner Reise, sondern den Anfang. Hatte ich der Pflicht Genüge getan, konnte ich umkehren und mich auf den Weg nach Hause machen. Nach Hause. Für eine Zeitlang vergaß ich Edel.
Solche Gedanken gingen mir durch den Kopf, wenn ich hinter den Schafen herwanderte, in ihrem Staub und Gestank, und hinter dem Tuch über Mund und Nase mit schmalen Lippen lächelte. Zu anderen Zeiten, wenn ich nachts allein auf meiner Decke lag, konnte ich an nichts anderes denken als an die Wärme einer Frau, ein Heim und ein Kind von meinem Fleisch und Blut. Ich glaube, ich spürte jede einzelne Meile, die uns trennte. Einsamkeit fraß mich auf. Ich sehnte mich danach, jede Einzelheit mitzuerleben. Jede Nacht, jeder ungestörte Augenblick war eine Versuchung, mit der Gabe hinauszugreifen. Doch ich verstand mittlerweile Veritas’ Mahnung zur Vorsicht. Wenn ich zu Molly und Burrich dachte, brachte ich ungewollt vielleicht Edels Kordiale auf ihre Spur, und Edel würde nicht zögern, meine Familie als Druckmittel gegen mich zu verwenden. Das sagte mir der Verstand. Trotzdem hungerte ich nach Neuigkeiten von ihnen, wagte jedoch nicht, diesen Hunger zu stillen.
Wir erreichten eine Siedlung, die fast ein Dorf zu nennen war. Sie war wie ein Hexenkreis von Pilzen um einen Quellteich aus dem Boden
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