Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
mehr‹. Und dann verkaufte sie mich an den Puppenspieler, für die Hälfte von dem, was er gewöhnlich für einen Lehrling zahlt, weil ich nicht mitgehen wollte.«
»Wo ich herkomme, wird es andersherum gehandhabt«, sagte ich unbeholfen. Was sie erzählte, kam mir unwahrscheinlich vor. »Die Eltern bezahlen einen Meister, damit er ihr Kind als Lehrling annimmt, weil sie hoffen, ihm damit ein besseres Leben zu ermöglichen.«
Sie strich sich das Haar aus der Stirn. Es war hellbraun und lockig. »Ich habe davon gehört. Auch hier gibt es das manchmal, aber nur selten. Ein Meister kauft sich einen Lehrling, und wenn er nichts taugt, kann er ihn als Handlanger weiterverkaufen. Dann ist man sechs Jahre lang nicht viel besser als ein Sklave.« Sie schluckte. »Manche sagen, es spornt einen Lehrling an, wenn er weiß, daß er vielleicht in einer Küche die Schmutzarbeit verrichten muß oder sechs Jahre lang in einer Schmiede den Blasebalg treten, wenn sein Meister nicht zufrieden ist.«
»Nun, wie es sich anhört, solltest du dich mit den Puppen anfreunden«, meinte ich lahm. Ich setzte mich auf die Deichsel von Dämons Karren und schaute auf die wolligen Köpfe meiner Schützlinge. Tassin setzte sich neben mich.
»Oder hoffen, daß mich jemand loskauft«, sagte sie niedergeschlagen.
»Du redest von dir, als wärst du eine Sklavin. So schlimm ist es doch nicht, oder?«
»Tag für Tag etwas tun müssen, das man für albern hält?« begehrte sie auf. »Und geschlagen werden, weil man es nicht richtig macht? Ist das besser, als Sklave sein?«
»Nun, du hast zu essen und einen Platz zum Schlafen, und du wirst gekleidet. Außerdem gibt er dir die Möglichkeit, etwas zu lernen, ein Gewerbe, daß dir den Weg in alle Sechs Provinzen ebnet, wenn du es gut beherrschst. Irgendwann gibst du vielleicht eine Vorstellung am Königshof in Bocksburg.«
Sie schaute mich befremdet an. »Du meinst in Fierant.« Aufseufzend rückte sie näher. »Ich fühle mich einsam. All die anderen, sie wollen Puppenspieler werden. Sie schimpfen auf mich, wenn ich Fehler mache und nennen mich faul und wollen nicht mit mir reden, wenn sie glauben, ich hätte eine Vorstellung verdorben. Nicht einer von ihnen hat ein Herz oder hätte sich so um mich gekümmert wie du.«
Darauf wußte ich keine Antwort. Ich kannte die anderen nicht gut genug, um ihr zuzustimmen oder zu widersprechen. Also sagte ich nichts und ließ den Blick über die in der Abenddämmerung verschwimmende Steppe wandern. Das Schweigen dehnte sich, es wurde allmählich dunkler. Zeit, Feuer zu machen.
»Erzähl mir«, sagte sie schließlich, »wie bist du Schafhirte geworden?«
»Meine Eltern starben. Meine Schwester erbte den Hof. Wir vertrugen uns nicht besonders gut, und hier bin ich.«
»So ein Biest!« sagte sie heftig.
Ich holte Atem, um meine erfundene Schwester zu verteidigen, dann aber kam mir zu Bewußtsein, daß ich mit einer Antwort Tassin ermutigte, das Gespräch fortzuführen, und das entsprach nicht meinen Wünschen. Mir fiel keine Arbeit ein, die angeblich noch getan werden mußte. Die Schafe und anderen Tiere grasten friedlich vor unseren Augen, ihnen fehlte nichts. Sinnlos zu hoffen, daß die anderen bald wiederkamen. Nicht, solange sie in der Schänke sitzen konnten, wo es zu trinken gab und neue Gesichter nach den langweiligen Tagen unterwegs.
Schließlich sagte ich etwas von Abendessen und stand auf, um Steine zu sammeln und dann trockenen Dung und Holz für ein Feuer. Tassin bestand darauf zu kochen. Ich hatte keinen großen Hunger, aber sie aß mit herzhaftem Appetit und verpflegte mich großzügig von Maestro Dells Vorräten. Sie goß auch eine Kanne Tee auf, den wir nach dem Essen am Feuer sitzend aus dickwandigen roten Keramikbechern tranken.
Irgendwie hatte das Schweigen sich von drückend zu kameradschaftlich gewandelt. Es war angenehm gewesen, dazusitzen und zuzusehen, wie jemand anders die Mahlzeit zubereitete. Anfangs hatte Tassin viel geplappert und wissen wollen, ob ich dieses oder jenes Gewürz mochte, und trank ich meinen Tee lieber stark? Eine Antwort hatte sie jedoch nie wirklich erwartet. Mein Schweigen schien ihr den Eindruck zu vermitteln, daß ich ein guter Zuhörer war, und ungefragt erfuhr ich mehr und mehr von ihrem Leben und ihr selbst. Beinahe verzweifelt erzählte sie davon, wie schrecklich es war, unter der Fuchtel dieses gemeinen Menschen etwas lernen zu müssen, wozu sie nicht die geringste Neigung verspürte. Sie sprach mit
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