Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
Herzen nicht befehlen, es solle aufhören zu schlagen. Ich konnte nicht aufhören zu atmen und sterben. Ebensowenig konnte ich diesen Ruf überhören. Ich stand allein in der Nacht, gefangen und gelähmt vom Willen eines anderes Mannes. Ein nüchtern denkender Teil meines Gehirns sagte: »Nun, da siehst du, wie es ihnen ergeht, Will und den anderen beiden, von Galen durch einen Gabenbefehl gezwungen, treue Anhänger Edels zu sein.« Dieser Befehl ließ sie nicht vergessen, daß sie einen anderen König gehabt hatten, oder machte sie glauben, was sie taten, sei recht. Sie hatten einfach keine andere Wahl. Und wenn man eine Generation weiter zurückdachte, hatte auch Galen mit einem solchen Fluch leben müssen. Wider seinen Willen war er meinem Vater in hündischer Ergebenheit zugetan gewesen. Veritas hatte mir erzählt, diese fanatische Loyalität sei ihm von Chivalric eingebrannt worden, als sie alle drei wenig mehr als Kinder gewesen waren. Er hatte es im Zorn getan – der ältere Bruder, der dem jüngeren zur Hilfe kam, den Galen ungerecht behandelt hatte – und ohne überhaupt zu wissen, daß etwas Derartiges möglich war. Veritas hatte weiterhin gesagt, Chivalric hätte es bereut, hätte es ungeschehen gemacht, doch er wußte nicht wie. Hatte Galen je begriffen, was ihm angetan worden war? Erklärte das seinen fanatischen Haß auf mich, auf den Sohn des Mannes, den zu hassen ihm unmöglich war?
Ich versuchte aufzustehen, aber mir fehlte die Kraft. Langsam sank ich in den Staub zwischen den Karrengeleisen und blieb in dumpfer Verzweiflung dort hocken. Unwichtig. Alles unwichtig, bis auf die Tatsache, daß ich eine Frau hatte und ein Kind, und ich konnte nicht zu ihnen gehen. Konnte es nicht, ebensowenig, wie ich imstande war, die Sterne vom Himmel zu holen. Ich schaute auf den Fluß, schwarzsilbern im Mondlicht, Lockung und Hohn. Hohn, weil mein Wille und meine Entschlossenheit trotz allem nicht stark genug waren, um diesen Befehl in meinem Kopf zu überwinden. Ich hob den Blick zum Himmel. »Burrich«, flehte ich laut, als könnte er mich hören, »nimm sie in deine Obhut, gib acht, daß ihnen nichts zustößt, beschütze sie, als wären sie deine eigene Familie – bis ich frei bin, um zu ihnen zu gehen.«
Ich kann mich nicht an den Rückweg zu den Pferchen erinnern, oder daß ich mich wieder zum Schlafen hingelegt hätte, doch als ich am Morgen die Augen aufschlug, fand ich mich genau dort wieder. Auf dem Rücken liegend, starrte ich in die blaue Wölbung des Himmels und haßte mein Leben. Zu allem Überfluß drängte sich Creece in mein Blickfeld.
»Du solltest aufstehen«, sagte er, bückte sich tiefer und bemerkte: »Deine Augen sind rot. Hast du dir klammheimlich eine Flasche zu Gemüte geführt, um nicht teilen zu müssen?«
»Ich habe nichts zu teilen, mit niemandem«, beschied ich ihm nachdrücklich und erhob mich steifbeinig. Mein Schädel dröhnte.
Ich fragte mich, wie Molly sie nennen würde. Nach einer Blume wahrscheinlich. Rose, Margerite, Angelika. Welchen Namen hätte ich für sie ausgesucht? Unnützes Grübeln.
Ich hörte auf zu denken. Während der nächsten Tage tat ich nur, was man mir auftrug. Ich tat es gut und gründlich, durch keine eigenen Gedanken abgelenkt. Irgendwo in meinem Innern tobte ein Wahnsinniger in seiner Zelle, aber ich beschloß, davon nichts zu wissen. Ich hütete Schafe. Ich aß, was man mir reichte, wenn es dunkel wurde, legte ich mich schlafen und stand auf, wenn es tagte. Und ich hütete Schafe. Ich ging hinter ihnen her, eingehüllt in ihren Gestank und den Staub, der mir in den Augen brannte, in Mund und Nase drang und in jede Pore meiner Haut, und ich dachte an nichts. Ich brauchte nicht zu denken, um zu wissen, daß jeder Schritt mich Veritas näher brachte. Ich redete so wenig, daß selbst Creece meiner Gesellschaft überdrüssig wurde, denn er konnte mich nicht dazu bewegen, auf seine Sticheleien einzugehen. Ich trieb die Schafe so hingebungsvoll wie der beste Hütehund, und mein Schlaf des Nachts war ein leeres schwarzes Tuch.
Für meine Gefährten ging das Leben weiter. Die Wegweise führte uns gut, und die Reise verlief ohne nennenswerte Zwischenfälle. Unannehmlichkeiten beschränkten sich auf Staub, wenig Wasser und karge Weide, und das nahmen wir als selbstverständlich hin. An den Abenden, wenn die Tiere versorgt waren und wir unsere Mahlzeit eingenommen hatten, studierten die Puppenspieler ihre Stücke ein. Sie schienen drei neue zu haben und
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