Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
entstellt.«
Mir fiel nichts dazu ein; also stieg ich die drei Tritte zum Wagen hinauf, nahm sie bei den Schultern und drückte sie auf einen Stuhl. Sie hatte tatsächlich einen trockenen Lappen benutzt, um an ihrer Wange herumzuwischen. Hatte sie keinen Verstand? »Sitz still«, befahl ich ihr streng. »Und beruhige dich.«
Ich machte das Tuch naß, wrang es aus und tupfte ihr das Blut ab. Wie vermutet, war der Schnitt nicht tief, doch er blutete heftig, wie es bei Verletzungen im Gesicht oder am Kopf häufig der Fall ist. Ich faltete das Tuch zu einem Viereck und drückte es gegen ihre Wange. »So festhalten und nicht wegnehmen. Ich will nur etwas holen.« Die Augen des Mädchens hingen wie gebannt an der Narbe in meinem Gesicht, und um sie zu beruhigen, sagte ich: »Helle Haut, wie du sie hast, heilt meistens, ohne daß ein Mal zurückbleibt. Und selbst wenn, wird es nicht groß sein.«
Ihre bestürzte Miene verriet mir, daß ich genau das Falsche gesagt hatte. Weshalb in Edas Namen mußte ich mich auch wieder einmischen!
Bei der Flucht aus Fierant hatte ich meine sämtlichen Heilkräuter und den Topf mit Burrichs Salbe zurückgelassen, aber mir war an der Stelle, wo die Schafe weideten, eine Blume aufgefallen, die aussah wie zwergwüchsige Goldrute und einige Pflanzen, die an Tormentill erinnerten. Zur Probe riß ich eine davon aus. Sie hatte den falschen Geruch, und der Saft von den Blättern war nicht gelatineartig, sondern eher klebrig. Ich wusch mir die Hände und sah mir dann die Goldrute näher an. Der Geruch stimmte. Ich zuckte die Schultern und pflückte eine Handvoll Blätter ab; dann aber dachte ich mir, wenn ich schon dabei war, konnte ich mir auch selbst einen Vorrat sammeln. Dem Anschein nach war es das gleiche Kraut, nur wuchs es niedriger und kümmerlicher auf diesem trockenen, steinigen Boden. Ich breitete meine Ernte auf der Wagendeichsel aus und sortierte. Die größeren Blätter ließ ich zum Trocknen liegen, doch die zarteren zerquetschte ich zwischen zwei gesäuberten Steinen und trug den so entstandenen Brei auf einem unversehrten zum Wagen der Gaukler. Das Mädchen schaute zweifelnd drein, nickte aber, als ich ihr versicherte: »Das Mittel wird die Blutung stillen. Je eher sich die Wunde schließt, desto kleiner die Narbe.«
Als sie das Tuch wegnahm, sah ich, daß die Verletzung ohnehin fast aufgehört hatte zu bluten, aber für alle Fälle bestrich ich sie mit einer Fingerspitze der Blätterpaste. Das Mädchen saß ganz still, und mir kam plötzlich zu Bewußtsein, daß ich seit meiner Trennung von Molly keine Frau mehr berührt hatte. Dieses Mädchen hatte blaue Augen, mit denen es mich groß ansah. Ich wich dem ernsten Blick aus. »So. Nun bleib weg davon. Nicht mit den Fingern daran rühren, nicht waschen. Auch wenn sich Schorf bildet, nimm dich zusammen und kratz ihn nicht ab.«
»Ich danke dir«, sagte sie schüchtern.
»Gern geschehen.« Ich wandte mich zum Gehen.
»Mein Name ist Tassin.«
»Ich weiß. Er hat ihn laut genug gebrüllt.« Ich ging die Stufen hinunter.
»Er ist ein gräßlicher Mann. Ich hasse ihn. Wenn ich könnte, würde ich weglaufen.«
Mein besseres Ich hinderte mich daran, sie einfach sich selbst zu überlassen. Unten blieb ich stehen. »Ich weiß, es kommt einem ungerecht vor, wenn man geschlagen wird, obwohl man sich Mühe gibt. Aber so ist es nun einmal. Wenn du wegläufst, nichts zu essen hast, keinen Platz zum Schlafen und nur Lumpen als Kleider, das wäre schlimmer. Streng dich an, damit er zufrieden ist und keinen Grund mehr hat, dich zu schlagen.« Ich glaubte so wenig an meine eigenen Worte, daß ich sie kaum über die Lippen brachte, aber was sollte ich ihr sagen? Pack deine Sachen und lauf weg? Sie würde in dieser Gegend nicht einen Tag überleben.
»Ich will mir aber keine Mühe geben.« Unter der Flut der Tränen hatte ein Fünkchen Trotz überlebt. »Ich will kein Puppenspieler sein, und Maestro Dell wußte das, als er meine Jahre gekauft hat.«
Ich trat unauffällig den Rückzug zu meinen Schafen an, aber Tassin kam die Stufen hinunter und folgte mir.
»In unserem Dorf gab es einen Mann, der mich leiden mochte. Er wollte mich zur Frau, hatte aber gerade kein Geld. Es war Frühling, und kein Bauer hat im Frühling Geld. Er versprach meiner Mutter, im Herbst den Brautpreis zu bezahlen, aber meine Mutter sagte: ›Wenn er jetzt arm ist, wo er nur sich zu versorgen hat, wird es noch schlimmer, wenn zwei Mäuler zu stopfen sind, oder
Weitere Kostenlose Bücher