Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
frisch und die Luft von Bratendüften geschwängert. Ein Schankbursche, der mit einem Tablett voll schäumender Bierkrüge an uns vorübereilte, warf einen Blick auf mich und schaute dann mit hochgezogenen Augenbrauen zu Merle. Offenbar stellte er ihren Geschmack in bezug auf Männer in Frage. Merle antwortete ihm mit einem ironischen Kratzfuß und schwang sich dabei con brioso den Umhang von den Schultern. Ich tat es ihr nach, weniger pompös, und folgte ihr zu einem Tisch neben dem Kamin.
Sie nahm Platz, dann schaute sie zu mir auf, überzeugt, mich am Haken zu haben. »Ich denke, du wirst einverstanden sein, wenn wir uns vor unserer Unterredung etwas stärken«, meinte sie liebenswürdig und deutete einladend auf den Stuhl gegenüber. Ich setzte mich, drehte den Stuhl aber so, daß ich die Wand im Rücken hatte und den Raum überblicken konnte. Ein kleines Lächeln umspielte ihren Mund, und ihre dunklen Augen irrlicherten vor diebischem Vergnügen. »Ich versichere dir, du hast nichts von mir zu befürchten. Im Gegenteil, ich bin es, die sich in Gefahr begeben hat, um dich zu finden.«
Sie schaute sich um, dann rief sie einem Burschen namens Leitgeb zu, er solle zweimal von dem Fleisch bringen, frisches Brot mit Butter und dazu Apfelwein. Flugs war er mit dem Gewünschten zur Stelle und deckte den Tisch mit einer Grandezza, die verriet, daß er ein Auge auf Merle geworfen hatte. Mir schenkte er kaum Beachtung, außer daß er über meinen feuchten Tragekorb die Nase rümpfte. Ein anderer Gast rief nach ihm, und Merle machte sich mit Appetit über ihren Teller her. Nach kurzem Zögern begann auch ich zu essen. Seit Tagen hatte ich keinen Bissen frisches Fleisch zwischen die Zähne bekommen, und der Wohlgeschmack der knusprigbraunen Fettkruste überwältigte mich fast. Das Brot war duftig und die Butter süß. Seit Bocksburg war mein Gaumen nicht mehr so gekitzelt worden. In der ersten Begeisterung dachte ich an nichts anderes als meinen Hunger; dann erinnerte mich der erste Schluck Apfelwein plötzlich an Rurisk, den man mit ebensolchem Wein aus Farrow vergiftet hatte, und ich stellte den Becher behutsam wieder hin. »Du hast mich also gesucht, sagst du?«
Merle nickte kauend. Sie schluckte, wischte sich den Mund ab und fügte hinzu: »Und du warst nicht leicht aufzuspüren, denn statt nach dir herumzufragen, habe ich nur meine eigenen zwei Augen bemüht. Ich hoffe, du weißt das zu schätzen.«
Ich nickte kurz. »Und nun, da du mich gefunden hast? Was willst du von mir? Schweigegeld? Wenn es das ist, wirst du dich mit ein paar Kupfergroschen begnügen müssen.«
»Nein.« Sie nahm einen Schluck Wein und schaute mich mit schiefgelegtem Kopf an. »Es ist so, wie ich dir gesagt habe. Ich will ein Lied. Eins ist mir bereits entgangen, weil ich dir nicht gefolgt bin, als man dich – aus unserer Mitte gerissen hat. Auch wenn ich hoffe, du wirst so gut sein, mir haarklein zu berichten, wie es dir gelungen ist, davonzukommen.« Sie beugte sich vor und senkte ihre geschulte Stimme zu einem vertraulichen Flüstern. »Ich kann dir nicht sagen, wie aufgeregt ich war, als ich hörte, man hätte die sechs Soldaten tot aufgefunden. Eigentlich dachte ich, ich wäre, was dich angeht, im Irrtum gewesen. Ich glaubte wirklich, sie hätten Schäfer Tom, den allzeit Schweigsamen und Unauffälligen als Notnagel mitgenommen. Chivalrics Sohn, sagte ich mir, hätte sich nie ohne Kampf ergreifen lassen. Also ließ ich dich gehen und bin dir nicht gefolgt. Als ich die Neuigkeiten hörte, hätte ich mir die Haare raufen können. Daß ich nicht auf meinen Instinkt vertraut hatte! Dann aber überlegte ich mir, falls du noch am Leben warst, würdest du hierher kommen. Du willst über die Grenze und in die Berge, nicht wahr?«
Ich schaute sie nur an, mit einem Blick, der genügt hätte, um in Bocksburg einen Stallburschen ins nächste Mauseloch zu scheuchen und einem Soldaten das Grinsen aus dem Gesicht zu treiben. Doch Merle war eine Vagantin und deshalb nicht leicht aus der Fassung zu bringen »Weshalb sollte ich auf so einen dummen Gedanken kommen?« fragte ich schließlich, als sie keine Anstalten machte, sich zu fürchten.
Sie schluckte den Bissen in ihrem Mund herunter, trank einen Schluck Wein nach und lächelte. »Weiß nicht. Um Kettricken zur Hilfe zu eilen vielleicht? Aber welchen Grund du auch hast, ich bin sicher, es ist Stoff für ein Lied, du nicht?«
Vor einem Jahr hätten ihr Charme und ihr Lächeln mich bezaubert. Vor
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