Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
der Fluß zufriert. Vielleicht rechnen sie in diesem Jahr damit. Meine Meinung dazu ist: Wenn man den Handel an einem Ort unterbindet, blüht er an einer anderen Stelle. Ich glaube an die Brücke.«
Ich runzelte die Stirn. »Nein. Es muß einen anderen Weg in die Berge geben.«
Merle schien gelinde gekränkt zu sein, daß ich an ihr zweifelte. »Hör dich selber um, wenn du willst. Ich wette, du erhältst nur die Auskunft, daß man bis zum Frühling warten muß, und vielleicht gefällt es dir, das in Gesellschaft der Soldaten der königlichen Garde zu tun, denen ebenfalls nichts anderes übrigbleibt. Vielleicht hörst du auch, wenn man unbedingt im Winter in die Berge will, ist nicht Blauer See der Ausgangspunkt. Man kann nach Süden gehen, um den See herum. Vom jenseitigen Ufer führen mehrere Fernwege in die Berge, die sogar im Winter passierbar sein sollen.«
»Bis ich dort eintreffe, ist es Frühling. Ich kann mir den Weg sparen und gleich hier warten.«
»Das hat man im gleichen Atemzug hinzugefügt«, pflichtete Merle mir treuherzig bei.
Ich beugte mich vor und barg den Kopf in den Händen. Komm zu mir. »Gibt es keinen schnellen, einfachen Weg über diesen verfluchten See?«
»Nein. Wenn es einen gäbe, würden die Soldaten nicht immer noch hier herumlungern.«
Also hatte ich keine andere Wahl. »Wo kann ich diese Schmuggler finden?«
Merle grinste breit. »Morgen bringe ich dich zu ihnen.« Sie stand auf und streckte sich. »Aber heute nacht habe ich noch einen Auftritt in der Goldenen Fibel. Man hat mir gestern eine Einladung zukommen lassen. Ich habe gehört, die Gäste dort sind überaus großzügig fahrenden Spielleuten gegenüber.« Sie bückte sich, um ihre in eine Schutzhülle verpackte Harfe aufzuheben. Ich stand auf, als sie nach ihrem immer noch feuchten. Umhang griff.
»Dann werde ich mich ebenfalls auf den Weg machen.«
»Warum schläfst du nicht hier?« fragte sie. »Weniger Gefahr, erkannt zu werden, und erheblich weniger Ungeziefer.« Offenbar spiegelte mein Gesicht meine Gedanken wider, denn ihre Mundwinkel zuckten belustigt. »Wenn ich dich an die Garde des Königs verkaufen wollte, hätte ich es längst getan. In deiner Lage, FitzChivalric, allein und mit deiner Kunst ziemlich am Ende, solltest du dich endlich entschließen, jemandem zu vertrauen.«
Als sie meinen Namen aussprach, spürte ich, wie etwas in mir sich löste, eine unbewußte innere Spannung, »Warum?« fragte ich trotzdem. »Warum hilfst du mir? Und erzähl mir nicht, es wäre wegen eines Liedes, das es vielleicht niemals geben wird.«
»Das beweist, wie wenig Ahnung du von fahrenden Sängern hast«, meinte sie. »Ein unwiderstehlicheres Lockmittel gibt es nicht für uns. Aber ich nehme an, es steckt mehr dahinter. Nein, ich weiß es.« Plötzlich hob sie den Blick und schaute mir in die Augen. »Ich hatte einen kleinen Bruder. Jay. Er war Soldat und auf der Geweihinsel stationiert. Er sah dich kämpfen, am Tag als die Piraten kamen.« Sie stieß ein kurzes Lachen aus. »Um genau zu sein, du bist über ihn hinweggestiegen. Dann hast du mit deiner Axt dem Mann den Schädel gespalten, der ihn niedergeschlagen hatte, und bist wie ein Schnitter weiter über das Schlachtfeld geschritten, ohne noch einmal zurückzuschauen.« Unbewußt strich ihre Hand über die Harfe in ihrer Armbeuge. »Das ist der Grund, weshalb ich ›Kampf auf der Geweihinsel‹ etwas anders singe als sonst üblich. Er hat mir davon erzählt, und ich beschreibe dich, wie er dich sah. Ein Held. Du hast ihm das Leben gerettet.«
Plötzlich wandte sie den Blick ab. »Für eine Weile jedenfalls. Er ist später gefallen, für die Marken gefallen. Aber du hast ihm mit deiner Axt eine Spanne Leben geschenkt.« Sie schwieg und warf sich den Umhang über. »Bleib hier. Schlaf. Ich komme erst spät wieder, bis dahin kannst du das Bett haben.«
Ohne eine Antwort abzuwarten, war sie hinaus. Eine Weile stand ich nur da und starrte auf die geschlossene Tür. FitzChivalric. Held. Nur Worte. Doch es war, als hätte sie etwas in mir aufgestochen, eine schwärende Wunde, und das Gift hinausgelassen, so daß sie nun heilen konnte. Es war ein seltsames Gefühl. Schlaf. Eine wohlige Müdigkeit ergriff von mir Besitz und ja, ich glaubte, daß ich heute nacht tief und traumlos würde schlafen können.
Kapitel 14
Schmuggler
Es gibt nur wenige so ungebunden schweifende Geister wie die Vaganten, jedenfalls in den Sechs Provinzen. Besitzt einer wirkliches Talent, kann
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