Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
das Kopfsteinpflaster in eine Chaussee, die ins offene Land hinausführte, vorbei an kleinen Bauernhöfen. Der Weg war tief gefurcht und morastig vom Regen der letzten Tage. Wir hatten wenigstens klaren Himmel, doch ein böiger Wind atmete uns Kälte ins Gesicht. »Ist es noch weit?« wollte ich irgendwann wissen.
»Weiß ich nicht genau. Ich habe nur ein paar Hinweise. Halte nach drei aufgestapelten Steinen am Wegrand Ausschau.«
»Was weißt du eigentlich über diese Schmuggler?«
Merles Schulterzucken erschien mir ein wenig zu beiläufig. »Ich weiß, daß sie in die Berge gehen, wenn niemand sonst es tut. Und ich weiß, sie nehmen die Pilger mit.«
»Pilger?«
»Oder wie man sie nennen will. Ihr Ziel ist Edas Schrein im Bergreich. Ursprünglich hatten sie im Sommer für die Überfahrt mit dem Schiff bezahlt, aber dann haben die Soldaten des Königs sämtliche Boote für sich mit Beschlag belegt, und gleich darauf wurden die Grenzen geschlossen. Seitdem haben die Pilger in Blauer See festgesessen und nach Möglichkeiten gesucht, ihre Reise fortzusetzen.«
Wir entdeckten schließlich die Steine und einen zugewachsenen Pfad über eine steinige Unkrautwiese, auf der lustlos ein paar Pferde grasten. Bergponies, wie ich interessiert feststellte, klein, stämmig und schon im struppigen Winterfell. Weit zurückgesetzt, von der Chaussee aus nicht zu sehen, stand ein kleines Haus aus Feldsteinen mit einem Grassodendach. Eine dünne Rauchfahne kräuselte sich aus dem Schornstein und wurde gleich vom Wind verweht. Auf dem Koppelzaun saß ein Mann, der an einem Stück Holz herumschnitzte. Er hob den Blick, schien zu finden, daß wir keine Gefahr darstellten, und ließ uns wortlos an sich vorbei zur Tür der Hütte gehen. Gleich daneben gurrten und pickten fette Tauben in einem Bretterverschlag. Merle klopfte an, doch angesprochen wurden wir von einem Mann, der um die Hausecke bog. Er besaß dickes braunes Haar und blaue Augen, und seine Kleidung war die eines Bauern. In der Hand trug er einen Eimer mit frischgemolkener Milch. »Wen sucht Ihr?« begrüßte er uns.
»Nik«, antwortete Merle.
»Ich kenne keinen Nik.« Der Mann stieß die Tür auf und trat in die Hütte. Merle folgte ihm dreist, und ich folgte ihr, wenn auch weniger forsch. Meine Hand lag am Gürtel, in der Nähe des Schwertgriffs, aber nicht zu nahe, um kein böses Blut zu machen.
In der Hütte brannte ein Feuer. Der Rauch zog teils durch den Kamin ab, teils sammelte er sich in Schwaden unter dem Dach. Ein Junge und ein geflecktes Zicklein teilten sich ein Strohlager in der hinteren Ecke. Er staunte uns mit großen blauen Augen an, blieb jedoch stumm. Von den Dachbalken hingen geräucherte Schinken und Speckseiten herab. Der Mann trug die Milch zum Tisch, wo eine Frau dicke gelbe Rüben schnitzelte, stellte den Eimer neben ihr ab und drehte sich dann zu uns herum.
»Ich glaube, Ihr seid im falschen Haus. Versucht es ein Stück weiter die Chaussee hinunter. Nicht im nächsten Haus, dort wohnt Pelf. Aber im übernächsten vielleicht.«
»Herzlichen Dank, das werden wir tun.« Merle lächelte von einem zum anderen und ging zur Tür. »Kommst du, Tom?« fragte sie über die Schulter. Ich verabschiedete mich mit einem Kopfnicken und folgte ihr aus dem Haus und den Pfad entlang. Als wir außer Hörweite waren, erkundigte ich mich: »Und was nun?«
»Ich bin nicht ganz sicher. Nach dem, was ich belauscht habe, würde ich sagen, wir gehen zu Pelfs Haus und fragen nach Nik.«
»Was du belauscht hast?«
»Du glaubst doch nicht, daß ich persönliche Beziehungen zu Schmugglern unterhalte, oder? Ich war im öffentlichen Bad. Zwei Frauen unterhielten sich, Pilger zu Edas Schrein in den Bergen. Eine sagte, das wäre möglicherweise das letzte Bad für lange Zeit, worauf die andere meinte, das sei ihr gleich, wenn sie nur endlich Blauer See verlassen könnten. Dann sprachen sie darüber, welcher Treffpunkt mit den Schmugglern verabredet sei.«
Ich enthielt mich eines Kommentars, aber vermutlich sprach mein Gesichtsausdruck Bände, denn Merle fragte spitz: »Hast du vielleicht einen besseren Einfall? Entweder haben wir Glück oder nicht.«
»Vielleicht haben wir das Glück, daß man uns die Kehle durchschneidet.«
»Dann geh doch zurück in die Stadt und versuche selbst etwas auszubaldowern.«
»Ich glaube, wenn wir das täten, würde der Mann, der uns folgt, ganz bestimmt zu der Auffassung kommen, daß wir Spitzel sind und entsprechende Maßnahmen ergreifen.
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