Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
Besuchen wir Pelf und warten ab, was dabei herauskommt. Nein, nicht umschauen.«
Wir kehrten zur Chaussee zurück. Der Wind war aufgefrischt und schmeckte nach Schnee. Wenn wir Nik nicht bald fanden, stand uns ein langer, ungemütlicher Rückmarsch zur Stadt bevor.
Das nächste Anwesen mußte früher einmal ein schmucker kleiner Gutshof gewesen sein, mit einem von Silberbirken gesäumten Zuweg. Jetzt standen die Bäume da wie magere Vogelscheuchen mit dürren Armen, in ihre abblätternde Rinde wie in Lumpen gehüllt. Einige Überlebende weinten herbstgelbe Blätter in den Wind. Die ausgedehnten Koppeln, mehr Disteln als Gras, standen leer, und die unkrautüberwucherten Felder hatten lange keinen Pflug mehr gesehen. »Was ist hier geschehen?« fragte ich, betroffen von der Atmosphäre der Trostlosigkeit.
»Jahrelange Dürre, dann ein Sommer mit immer neuen Bränden. Hinter diesen Höfen war der Fluß von lichten Eichenwäldern gesäumt und von Weideland. Dies hier waren Milchviehhöfe, aber dort draußen ließen Kleinsassen ihre Ziegen frei grasen, und ihre Haragars mästeten sich in den Wäldern mit Eicheln. Ich habe gehört, auch die Jagd soll großartig gewesen sein. Dann kam das Feuer. Es wütete einen Monat lang, wird erzählt, so daß man kaum atmen konnte und eine dicke Ascheschicht den Fluß schwarz färbte. Funkenflug setzte auch Heuwiesen und Gehöfte in Brand. Nach der langen Dürre war der Fluß kaum mehr als ein Rinnsal in seinem Bett. Es gab keinen Ort, wohin man vor dem Feuer flüchten konnte. Und nach dem Feuer kamen wieder heiße, trockene Tage. Die kleineren Wasserläufe erstickten unter Asche und Staub, die der Wind über das Land trieb. Er wehte, bis es im Herbst endlich regnete. Alles Wasser, um das die Menschen seit Jahren gebetet hatten, stürzte auf einmal vom Himmel, nicht Segen, sondern Fluch. Nun, du siehst, was die Sturzflut übriggelassen hat; ausgelaugten, steinigen Boden.«
»Ich erinnere mich, etwas darüber gehört zu haben.« Ein Gespräch, lange her. Jemand – Chade? – hatte zu mir gesagt, das Volk mache den König für alles verantwortlich, sogar für Dürre und Feuersbrunst. Damals hatte ich mir weiter keine Gedanken darüber gemacht, aber den Menschen hier mußte die Katastrophe vorgekommen sein wie das Ende der Welt.
Auch das Haus erzählte von einer liebevollen Hand und besseren Zeiten. Es war zweistöckig, aus Holz gebaut, der Anstrich längst verwittert. An jeder Giebelseite gab es einen Kamin. Der eine befand sich im Zustand fortgeschrittenen Verfalls, und aus dem anderen stieg Rauch. Ein Mädchen stand vor der Tür und streichelte eine graue Taube, die auf ihrer Hand saß.
»Guten Tag«, begrüßte sie uns mit einer angenehm dunklen Stimme. Über einem weiten Hemd aus naturfarbener Wolle trug sie einen Überwurf aus Leder, dazu eine lederne Hose und Lederstiefel. Ich schätzte ihr Alter auf ungefähr zwölf Jahre und schloß aus der Farbe ihrer Haare und Augen, daß sie mit den Leuten aus dem ersten Haus verwandt sein mußte.
»Guten Tag«, gab Merle den Gruß zurück. »Wir suchen Nik.«
Das Mädchen schüttelte den Kopf. »Man hat Euch zum falschen Haus gewiesen. Hier gibt es keinen Nik. Dies ist Pelfs Haus. Vielleicht solltet Ihr es ein Stück weiter die Chaussee hinunter noch einmal versuchen.« Sie schaute unschuldig lächelnd zu uns auf.
Merle warf mir einen ratlosen Blick zu. Ich griff nach ihrem Arm. »Man hat uns den Weg schlecht beschrieben. Komm, gehen wir in die Stadt zurück und erkundigen uns noch einmal.« Ich wollte nichts weiter, als mit Anstand den Rückzug antreten.
»Aber...«, begehrte Merle auf.
Auf einmal kam mir eine Erleuchtung. »Schon gut. Man hat uns gewarnt, mit diesen Leuten sei nicht zu spaßen. Der Vogel ist nicht angekommen. Vielleicht hat ein Falke ihn geschlagen. Heute können wir hier nichts mehr ausrichten.«
»Ein Vogel?« fragte die Kleine plötzlich.
»Nur eine Taube. Weiterhin einen guten Tag.« Ich legte den Arm um Merle und drehte sie entschieden herum. »Wir wollten dich nicht belästigen.«
»Wessen Taube?«
Ich richtete es so ein, daß unsere Blicke sich flüchtig trafen. »Von einem Freund von Nik, aber das ist nicht wichtig. Komm, Merle.«
»Wartet«, sagte das Mädchen. »Mein Bruder ist im Haus. Vielleicht kennt er diesen Nik.«
»Wir möchten keinesfalls stören.«
»Ihr stört nicht.« Der Vogel auf ihrer Hand breitete die Flügel aus, als sie zur Tür wies. »Kommt herein und wärmt Euch etwas
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