Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
auf.«
»Es ist kalt heute«, gab ich zu. Dann wandte ich mich zu dem Schnitzer herum, der gerade zwischen den Birken der Allee zum Vorschein kam. »Vielleicht sollten wir alle hineingehen.«
»Vielleicht.« Das Mädchen griente über das Unbehagen unseres Beschatters.
Hinter der Tür lag eine halbdunkle Eingangshalle. Kleine Fenster mit dicken Scheiben ließen nur wenig Tageslicht hindurch. Das elegante Intarsienparkett war abgetreten und lange nicht mehr geölt worden. Helle Flecken an den Wänden ließen ahnen, wo einst Gemälde und Tapisserien gehangen hatten. Eine Treppe führte ins obere Stockwerk. Viel wärmer als draußen war es nicht, doch ich freute mich, wenigstens vorübergehend dem Wind entronnen zu sein. »Wartet hier«, wies uns das Mädchen an, bevor es in einem Gemach rechterhand verschwand und die Tür hinter sich schloß. Merle stand neben mir – zu dicht. Der Schnitzer beobachtete uns ausdruckslos.
Merle holte Atem, aber »Pst!«, warnte ich, bevor sie etwas sagen konnte. Statt dessen griff sie nach meinem Arm. Ich bückte mich, wie um meinen Stiefel fester zu schnüren, und drehte mich beim Aufrichten, so daß sie nun links von mir stand. Sofort umklammerte sie wieder meinen Arm. Es schien sehr lange zu dauern, bis die Tür aufging. Ein hochgewachsener Mann mit braunem Haar und blauen Augen kam heraus. Wie auch das Mädchen war er in Leder gekleidet. Ein ungewöhnlich langes Messer hing an seinem Gürtel. Das Mädchen kam dicht hinter ihm. Sie schmollte; wahrscheinlich war sie getadelt worden. Der Herr des Hauses musterte uns finster und fragte unwirsch: »Was hat das zu bedeuten?«
»Wir sind einem Irrtum erlegen«, sagte ich sofort. »Wir suchen jemanden mit Namen Nik, und offenbar sind wir hier falsch. Vergebt die Störung, Herr.«
Er schien sich zu besinnen. »Ein Freund von mir hat einen Vetter, der so heißt. Ich könnte ihm Bescheid sagen.«
Ich drückte Merles Hand, damit sie schwieg. »Nein, nein, wir möchten Euch keine Umstände machen. Außer Ihr sagt uns, wo Nik anzutreffen ist, damit wir selbst zu ihm gehen können.«
»Vielleicht wäre es besser, wenn ich ihm eine Nachricht von Euch überbringe«, machte der Mann sich wieder erbötig. Es war kein ernst gemeintes Angebot.
Ich kraulte meinen Bart und dachte nach. »Ich habe einen Freund, dessen Vetter ein Paket über den Fluß schicken möchte. Er hörte, Nik wüßte möglicherweise jemanden, der bereit wäre, das zu übernehmen. Er versprach dem Vetter meines Freundes, eine Taube auszusenden, um Nik von seinem Kommen zu unterrichten. Für eine Summe Geldes, natürlich. Das war alles, nichts von Bedeutung.«
Der Mann nickte bedächtig. »Ich habe von Leuten hier in der Gegend gehört, die so etwas tun. Eine gefährliche Arbeit, ein Verstoß gegen des Königs Gebot. Sie büßen mit ihrem Kopf, wenn die Soldaten sie ergreifen.«
»Allerdings. Aber ich bezweifle, daß der Vetter meines Freundes mit Leuten Geschäfte machen würde, die sich fangen lassen. Deshalb wünschte er mit Nik zu sprechen.«
»Und wer war es, der Euch hergeschickt hat, um diesen Nik zu treffen?«
»Vergessen«, antwortete ich kühl. »Ich fürchte, ich habe ein Talent dafür, Namen zu vergessen.«
»Ist das so?« Der Mann schaute zu seiner Schwester und deutete ein Kopfnicken an.
»Kann ich Euch und Eurer Begleiterin einen Branntwein anbieten?«
»Die Einladung nehmen wir gerne an.« Ich verneigte mich leicht.
Auf dem Weg in das Gemach, in dem vorhin Pelf verschwunden war, gelang es mir, mich von Merle loszumachen. Sie seufzte in der gesegneten Wärme. Dieser Raum war so opulent wie der andere kahl. Teppiche bedeckten den Boden und Tapisserien die Wände. In der Mitte stand ein wuchtiger Eichentisch, darauf ein Kandelaber mit brennenden Kerzen. In dem gewaltig großen Kamin loderte ein Feuer vor einem Halbkreis gepolsterter Armsessel. Dorthin führte Pelfs Bruder uns; im Vorbeigehen nahm er eine volle Kristallkaraffe vom Tisch. »Hol Becher«, befahl er dem Mädchen schroff. Sie schien an seinem Ton keinen Anstoß zu nehmen. Ich schätzte das Alter des Mannes auf ungefähr fünfundzwanzig. Ältere Brüder pflegen gemeinhin keine Musterbeispiele sentimentaler Geschwisterliebe zu sein. Das Mädchen übergab dem Schnitzer ihre Taube und bugsierte beide aus der Tür, bevor sie ging, um die Gläser herbeizuschaffen.
»Nun, was wolltet Ihr eben sagen?« versuchte der Mann auf den Busch zu klopfen, als wir vor dem Feuer saßen.
»Nein, Ihr wolltet
Weitere Kostenlose Bücher