Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
hereinbrechender Dunkelheit. Mochte das Essen, das Pelf uns auftischte, auch nicht so großartig sein wie der Schmaus am Abend zuvor in Merles Gasthaus, so war es doch unvergleichlich besser als Brennsuppe mit Kartoffeln und Zwiebeln. Es gab dicke gebratene Schinkenscheiben und Apfelsauce und einen mit Früchten, Körnern und Gewürzen gebackenen Kuchen. Pelf brachte Bier, setzte sich zu uns an den Tisch, und wir plauderten über alltägliche Dinge. Nach dem Essen spielte und sang Merle für das Mädchen. Ich konnte kaum noch die Augen offenhalten. Als mir zum zweitenmal das Kinn auf die Brust gesunken war, bat ich Pelf, uns unsere Kammer zu zeigen, und Merle schloß sich mir an.
Pelf führte uns in ein Zimmer über Niks vornehm eingerichtetem Gemach. Auch hier zeigten sich noch Spuren vergangener Pracht, aber bestimmt war es seit Jahren nur noch höchst selten benutzt worden. Das in bester Absicht angezündete Feuer vermochte die klamme Kälte und den Modergeruch nicht auszutreiben. Zwischen den Fenstern stand ein riesiges Bett mit einer Federmatratze und vergrauten Vorhangen. Merle schnupperte kritisch, und nachdem Pelf das Zimmer verlassen hatte, machte sie sich daran, die Bettdecken über eine Bank zu hängen und ans Feuer zu rücken. »Auf diese Art werden sie gleichzeitig gelüftet und durchgewärmt«, erklärte sie geschäftig.
Ich hatte derweil die Tür abgeschlossen und die Riegel an Fenstern und Schlagläden überprüft. Sie ließen nichts zu wünschen übrig. Auf einmal war ich zu müde, um auch nur den Mund aufzumachen und etwas zu sagen. Wahrscheinlich lag es an dem Branntwein und dem Bier. Ich zog einen Stuhl zur Tür und klemmte ihn unter die Klinke, wobei mich Merle amüsiert beobachtete. Dann kehrte ich zum Feuer zurück, ließ mich auf die mit Decken behangene Bank sinken und streckte die Füße der Wärme entgegen. Mit den Zehenspitzen schob ich mir die Stiefel herunter. Nun gut. Morgen war ich also auf dem Weg in die Berge.
Merle setzte sich zu mir. Eine Zeitlang schwieg sie, dann hob sie die Hand und tippte mit dem ausgestreckten Zeigefinger gegen das Vadeliber in meinem Ohr. »Hat der Schmuck wirklich Chivalric gehört?« fragte sie.
»Für eine Weile.«
»Und du gibst ihn her, um in die Berge zu gelangen. Was würde er dazu sagen?«
»Weiß ich nicht. Ich habe den Mann nie kennengelernt.« Ungewollt entschlüpfte mir ein Seufzer. »Alles deutet darauf hin, daß er seinen kleinen Bruder geliebt hat. Ich glaube, er hätte nichts dagegen, daß ich den Ring aufgebe, um Veritas zu helfen.«
»Dann bist du wirklich auf der Suche nach deinem König?«
»Ja.« Ich bemühte mich ein Gähnen zu unterdrücken. Irgendwie erschien es mir dumm, mein Vorhaben zu leugnen. »Ich bin nicht sicher, ob es klug war, vor Nik von Chivalric zu sprechen. Er könnte daraus seine Schlüsse ziehen.« Ich wandte den Kopf, um Merle ins Gesicht zu schauen, doch ihre Züge verschwammen mir vor den Augen. »Aber ich bin zu müde, um mir deswegen Sorgen zu machen.«
»Du verträgst kein Heitergras«, lachte sie.
»Ich habe kein Glimmkraut gerochen.«
»Im Kuchen. Sie hat dir gesagt, er wäre gewürzt.«
»Und gewürzt heißt...?«
»Das heißt es überall in Farrow.«
»Oh. In den Marken bedeutet es, in dem Kuchen ist Ingwer oder Zitrone.«
»Ich weiß.« Merle lehnte sich an mich und seufzte. »Du traust diesen Leuten nicht, habe ich recht?«
»Selbstverständlich nicht. Und sie trauen uns nicht. Würden wir ihnen vertrauen, hätten sie keinen Respekt vor uns. In ihren Augen wären wir dann gutgläubige Narren, Dummköpfe, die ehrsame Zeitgenossen in Gefahr bringen, weil sie zuviel reden.«
»Aber du hast mit Nik einen Handschlag getauscht.«
»Allerdings. Und ich glaube, er wird sein Wort halten – bis zu einem gewissen Punkt.«
Wir schwiegen beide und hingen unseren Gedanken nach. Etwas später schrak ich hoch und Merle ebenfalls. »Ich gehe zu Bett«, verkündete sie.
»Ich auch.« Ich machte Anstalten, mich mit einer Decke von der Bank vor dem Kamin einzurichten.
»Sei nicht albern«, sagte Merle. »Das Bett ist groß genug für vier. Nutze die Gelegenheit. In nächster Zeit werden wir kaum eines zu sehen bekommen.«
Mehr brauchte es nicht, um mich zu überreden. Die Federmatratze war weich, wenn auch ein wenig muffig. Die Decken teilten wir gerecht zwischen uns auf. Ich wußte, es war unklug und gefährlich, alle Wachsamkeit über Bord zu werfen, aber der Alkohol und das Glimmkraut hatten meine
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