Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
bist. Was siehst du, wenn du an sie denkst? Wie sie am warmen Feuer dein Kindlein wiegt? Wie wäre es mit einem anderen Bild? Das Kind liegt drinnen und schreit, während sie draußen im Regen versucht, Holz für Späne zu spalten, denn sie mußte den weiten Weg zur Mühle wandern, um etwas Korn mahlen zu lassen, und derweil ist das Feuer ausgegangen?«
Ich schob das Bild von mir weg. Nein. Burrich würde das nicht zulassen. »Wenn ich an sie denke, sehe ich sie auf mancherlei Weise und nicht nur in guten Zeiten«, verteidigte ich mich. »Und sie ist nicht ganz allein. Ein Freund von mir kümmert sich um sie.«
»Natürlich, ein Freund«, bestätigte sie in vielsagendem Ton. »Und ist er hübsch, verwegen und kühn genug, um jeder Frau das Herz zu stehlen?«
Ich schnaubte. »Nein. Er ist ein älterer Mann. Stur und bärbeißig, aber er ist auch beständig, verläßlich und fürsorglich. Er hat Achtung vor Frauen. Er wird gut für sie sorgen, für Molly und für das Kind.« Grimmig lächelnd, weil ich Burrich kannte, fügte ich hinzu: »Er wird jeden Menschen töten, der auch nur aussieht, als wollte er ihnen etwas antun.«
»Verläßlich, freundlich, fürsorglich? Achtung vor Frauen?« Merle erhob die Stimme in gespieltem Interesse. »Hast du eine Ahnung, wie selten ein solcher Mann ist? Sag mir, wo ich ihn finde. Ich nehme ihn auf der Stelle. Falls deine Molly bereit ist, ihn herzugeben.«
Ich gestehe, einen Augenblick lang empfand ich Zweifel. Da war der Tag, an dem Molly mich geneckt hatte und sagte, ich sei das Beste, das seit Burrich aus den Ställen herausgekommen wäre. Weil ich nicht recht wußte, ob das ein Kompliment sein sollte, hatte sie mir erzählt, er wäre bei den Damen wohlgelitten, trotz seiner Schweigsamkeit und seines schroffen Wesens. Hatte sie je Burrich angesehen und ihn in Erwägung gezogen? Nein. Ich war es gewesen, dem sie sich am selben Tag leidenschaftlich hingegeben hatte, an dem sie festhielt, obwohl ich sie nicht zu meiner Gemahlin machen konnte. »Nein. Sie liebt mich. Nur mich.«
Ich hatte nicht vorgehabt, es laut auszusprechen, aber die Worte brachen aus mir heraus. Etwas in meiner Stimme mußte bei Merle eine weiche Stelle berührt haben, denn sie hörte auf, mich zu quälen. »Wenn das so ist... Nun, dann solltest du ihr wirklich eine Nachricht schicken, damit sie eine Hoffnung hat, die ihr Kraft gibt.«
»Das werde ich tun.« Ich schwor es mir. Sobald ich Jhaampe erreichte. Kettricken würde mir helfen, Burrich eine Nachricht zukommen zu lassen. Wenige Zeilen nur, verschlüsselt, falls der Brief abgefangen werden sollte. Ich konnte ihn bitten, Molly zu sagen, daß ich noch lebte und zu ihr zurückkehren würde. Doch wie sollte die Nachricht ihn erreichen?
Grübelnd starrte ich in die Dunkelheit. Wo stand die Hütte, in der Molly Zuflucht gefunden hatte? Lacey wußte es vielleicht. Doch mit Lacey konnte ich nicht in Verbindung treten, ohne daß Philia es merkte. Nein. Keine von beiden durfte erfahren, daß ich noch unter den Lebenden weilte. Es mußte jemanden geben, den wir beide kannten und dem ich trauen konnte. Nicht Chade. Zwar vertraute ich ihm, aber keiner würde Chade finden können, selbst wenn er ihn unter diesem Namen kannte.
Irgendwo im Stall dröhnte ein Pferdehuf gegen eine Boxenwand. »Du bist sehr still«, flüsterte Merle.
»Ich denke nach.«
»Ich wollte dich nicht betrüben.«
»Hast du nicht. Du hast mich nur dazu gebracht nachzudenken.«
»Aha.« Eine Pause. »Ich friere.«
»Ich auch. Aber draußen ist es noch kälter.«
»Davon wird mir kein bißchen wärmer. Halt mich fest.« Es war keine Bitte. Sie drängte sich heftig an meine Brust und wühlte ihren Kopf unter mein Kinn. Sie roch gut. Wie brachten Frauen es fertig, immer gut zu riechen? Unbeholfen legte ich die Arme um sie, dankbar für die zusätzliche Wärme, doch befangen wegen ihrer Nähe. »Das ist besser«, seufzte sie. Ich fühlte, wie ihr Körper sich entspannte. »Ich hoffe, wir haben bald Gelegenheit zu baden.«
»Ich auch.«
»Das soll natürlich nicht heißen, daß du stinkst.«
»Vielen Dank.« Ihr Taktgefühl ließ zu wünschen übrig. »Stört es dich, wenn ich jetzt weiterschlafe?«
»Nur zu.« Sie legte eine Hand auf meine Hüfte und fügte hinzu: »Wenn das alles ist, woran du denken kannst.«
Plötzlich war mir die Kehle wie zugeschnürt. Molly. Ich hielt den Gedanken an sie wie einen Schutzschild vor mich. Merle war so warm, so nah, und sie roch so betörend. Das
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