Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
umgekommen, als die Burg gebrandschatzt wurde. Die Korsaren ließen mich für tot liegen, sonst wäre ich auch nicht mehr am Leben.« Zum ersten Mal bemerkte ich den Unterton einer alten Furcht in ihrer Stimme. Sie verstummte und dachte an all das, was sie nicht preisgeben wollte. Ich drehte mich zu ihr herum. »Ich habe nur mich selbst. Jetzt und immer. Nur mich selbst. Und es gibt eine Grenze dafür, wie lange ein Vagant umherziehen kann und in Wirtshäusern für Geld singen. Wenn du es auf deine alten Tage behaglich haben willst, mußt du dir einen Platz in einer Burg ergattern. Dazu brauche ich ein wahrhaft großes Lied, Fitz. Und ich habe nicht ewig lange Zeit, um es zu finden.« Ihre Stimme klang weicher, als sie hinzufügte: »Deshalb werde ich dir folgen. Denn du scheinst bedeutende Ereignisse anzuziehen.«
»Bedeutende Ereignisse?« spottete ich.
Sie schob sich dichter an mich heran. »Bedeutende Ereignisse. Die Abdankung von Prinz Chivalric als Thronfolger. Der Sieg über die Roten Korsaren auf der Geweihinsel. Und warst du es nicht, der Königin Kettricken rettete, als sie von Entfremdeten überfallen wurde, damals, vor der Jagd der Kriegerkönigin? Also, das ist ein Lied, von dem ich gerne hätte, daß es aus meiner Feder stammte. Ganz zu schweigen von dem Aufruhr in der Nacht von Prinz Edels Krönung. Was haben wir denn noch? Von den Toten auferstehen, einen Mordanschlag auf König Edel unternehmen, mitten in seiner Residenz Burg Fierant, und dann unbeschadet entkommen. Ein halbes Dutzend seiner Soldaten ermorden, trotz eiserner Ketten an Händen und Füßen... Mir war gleich so, als ob ich dir an jenem Tag hätte folgen sollen. Aber ich bin sicher, ich habe gute Aussichten, auf meine Kosten zu kommen, wenn ich dir von jetzt an nicht mehr von der Seite weiche.«
Aus diesem Blickwinkel hatte ich die Ereignisse, die sie aufzählte, noch nie betrachtet. Ich wollte einwenden, daß ich keins davon ausgelöst hatte, sondern ohne mein Zutun in das Räderwerk der Geschichte geraten war, aber dann seufzte ich nur. »Ich habe keinen anderen Wunsch, als zu Hause zu sein, bei Molly und unserer kleinen Tochter.«
»Das wünscht sie sich wahrscheinlich ebenfalls. Es ist bestimmt nicht leicht für sie, zu warten und zu bangen, ob du wiederkommst und wann.«
»Sie wartet nicht. Sie hält mich schon lange für tot.«
Merle schwieg. Schließlich sagte sie bedächtig: »Fitz, wenn sie glaubt, du bist tot, wie kannst du sicher sein, daß sie da sein wird, um dich mit offenen Armen zu empfangen, daß sie nicht einen anderen gefunden hat?«
Was hatte ich mir nicht alles ausgemalt. Daß ich den Tod fand, bevor ich nach Hause zurückkehren konnte, oder daß Molly mich als einen Lügner und einen von denen mit der Alten Macht verabscheute oder daß sie sich von meinen Narben abgestoßen fühlte. Daß sie mir zürnte, weil ich sie in dem Glauben gelassen hatte, ich sei tot. Doch ich würde ihr erklären, ich hätte geglaubt, sie sei eines anderen Mannes Ehefrau und glücklich. Dann würde sie verstehen und mir verzeihen. Schließlich war sie diejenige, die mich verlassen hatte. Irgendwie hatte ich nie daran gedacht, ich könnte zurückkehren und feststellen, daß jemand anders an meine Stelle getreten war. Dumm. Wie dumm, die Augen vor dieser Möglichkeit zu verschließen, nur weil es einfach unerträglich war, sie in Betracht zu ziehen. Mehr zu mir selbst als zu Merle sagte ich: »Ich sollte ihr eine Nachricht zukommen lassen, ihr eine Botschaft schicken. Aber ich weiß nicht einmal, wo genau sie sich aufhält. Und wem sollte ich eine solche Nachricht anvertrauen?«
»Wie lange bist du schon fort?« fragte sie.
»Von Molly? Fast ein Jahr.«
»Ein Jahr? Männer!« Merle stieß einen Laut aus, der sich wie ein Fauchen anhörte. »Sie ziehen aus, um zu kämpfen oder sich in der Weltgeschichte herumzutreiben, und erwarten, daß ihr Leben auf sie wartet, wenn sie geruhen zurückzukehren. Ihr erwartet, daß die Frauen, die daheimbleiben, das Feld bestellen und die Kinder großziehen, das Dach ausbessern und die Kuh hüten, damit ihr euren Stuhl auf dem gewohnten Platz am Kamin vorfindet und Fleisch und Brot auf dem Tisch. Ja, und einen willigen Körper in eurem Bett, der sehnsüchtig eurer harrt.« Ärger schlich sich in ihre Stimme. »Wie viele Tage bist du von ihr getrennt? Nun, das sind ebenso viele Tage, an denen sie gezwungen war, ihr Leben ohne dich zu meistern. Die Zeit bleibt für sie nicht stehen, nur weil du fort
Weitere Kostenlose Bücher