Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
lockere Völkchen der Vaganten nahm solche Dinge auf die leichte Schulter. Aber war meine Liebe zu Molly auch so leichtgewichtig? »Ich habe es dir gesagt, ich bin verheiratet.« Das Sprechen fiel mir schwer.
»Ja ja. Und sie liebt dich, und offensichtlich liebst du sie. Aber wir sind es, die hier liegen und frieren. Wenn sie dich so sehr liebt, würde sie dir ein bißchen Wärme und Trost in so einer kalten Nacht mißgönnen?«
Es war nicht leicht, aber ich zwang mich, über diese Frage nachzudenken und mußte unwillkürlich lächeln. »Nicht nur mißgönnen. Sie würde mir den Kopf abreißen.«
»So ist das.« Merle lachte gedämpft an meiner Brust. »Ich verstehe.« Sanft löste sie sich von mir. Ob sie ahnte, wie gern ich nach ihr gegriffen und sie wieder an mich gezogen hätte? »Dann sollten wir uns jetzt vielleicht umdrehen. Schlaf gut, Fitz.«
Das tat ich, aber nicht gleich und nicht ohne Bedauern.
In der Nacht frischte der Wind auf, und als am Morgen die Scheunentür geöffnet wurde, begrüßte uns eine dicke Schicht Neuschnee. Ich war in Sorge, ob wir mit den Wagen vorankommen würden, doch Nik verströmte Zuversicht und gute Laune. Er verabschiedete sich liebevoll von der Hausfrau, dann brachen wir auf. Wir nahmen einen anderen Weg als den, auf dem wir tags zuvor hergekommen waren. Der neue Weg war rauher, und an einigen Stellen sanken die Wagen bis zu den Achsen in den Schnee ein. Merle ritt neben uns her, bis Nik einen Mann schickte, um sie zu fragen, ob sie zu ihm nach vorn kommen wollte. Sie dankte fröhlich für die Einladung und leistete ihr prompt Folge.
Am frühen Nachmittag stießen wir wieder auf unsere alte Straße. Ich konnte nicht finden, daß uns diese neue Route einen Vorteil gebracht hätte, aber Nik war der Ortskundige. Vielleicht wollte er einfach vermeiden, den Pfad zu seinem Versteck durch zu häufiges Benutzen für jedermann sichtbar zu machen. An diesem Abend war unsere Unterkunft weniger behaglich. Lediglich einige windschiefe Hütten boten uns Schutz vor der Kälte. Die Dächer waren eingesunken und schadhaft, so daß stellenweise Schnee in Streifen auf dem Boden lag, der unter einer Tür hindurch zu einer kleinen Düne aufgeweht worden war. Den Pferden blieb nichts anderes übrig, als an der windabgewandten Seite der baufälligen Katen Schutz zu suchen. Wir tränkten sie am Fluß, und jedes bekam eine Portion Körnerfutter. Heu gab es nicht.
Nachtauge begleitete mich auf der Suche nach Brennholz. In den Hütten lag ein kleiner Vorrat bereit, so daß man ein Feuer anzünden und sich eine Mahlzeit kochen konnte, aber nicht genug, um es die ganze Nacht in Gang zu halten. Während wir auf der Suche nach Treibholz am Ufer entlanggingen, dachte ich darüber nach, wie unser Verhältnis sich verändert hatte. Wir sprachen nicht mehr soviel miteinander wie früher, doch dafür hatte ich das Gefühl, daß ich mir seiner bewußter war als je zuvor. Vielleicht bestand weniger Notwendigkeit zu sprechen, doch abgesehen davon, hatten wir uns beide in der Zeit unserer Trennung verändert. Wenn ich ihn jetzt anschaute, sah ich manchmal zuerst den Wolf und dann erst meinen Gefährten.
Du fängst endlich an, mich so zu respektieren, wie ich es verdiene. Eine Neckerei, jedoch mit einem wahren Kern. Nachtauge tauchte plötzlich links von mir aus dem Buschwerk auf, trabte leichtfüßig über den tiefverschneiten Pfad und brachte es auf geheimnisvolle Art fertig, sich zwischen Schneewehen und unbelaubten dürren Sträuchern unsichtbar zu machen.
Du bist kein Welpe mehr, das stimmt.
Wir sind beide keine Welpen mehr, das haben wir auf dieser Wanderung herausgefunden. Du siehst dich auch nicht mehr als Knabe.
Ich stapfte wortlos durch den Schnee und dachte über seine Worte nach. Nachtauge hatte recht. Seltsamerweise empfand ich ein kurzes Bedauern über den Verlust des Jungen mit dem glatten Gesicht und dem sorglosen Mut.
Ich fürchte, ich war ein besserer Junge, als ich ein Mann bin, meinte ich betrübt.
Weshalb wartest du nicht ab, bis du etwas mehr Übung hast und urteilst dann? antwortete er.
Der Pfad, dem wir folgten, war kaum eine Karrenspur breit und sichtbar nur als ein Streifen, wo keine Zweige oder Gräser aus dem Weiß ragten. Der Wind, der als unermüdlicher Bildhauer den Schnee zu Dünen und Klippen modellierte, wehte mir ins Gesicht; Nase und Stirn brannten von seiner rauhen Liebkosung. Dem Auge bot sich die gleiche verschneite Tristesse wie seit Tagen, und doch fühlte ich
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