Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
mich, allein inmitten der Weite und Stille, nur von einem Wolf begleitet, wie in eine andere, fremde Welt versetzt. Dann kamen wir an den Fluß.
Ich stand auf der Böschung und schaute über ihn hinweg. Eis säumte stellenweise die Ränder, und Treibholzinseln, von der starken Strömung mitgerissen, trugen eine Fracht aus schmutzigem Harsch. Ich versuchte, ihn mir zugefroren vorzustellen und konnte es nicht. Auf der anderen Seite dieser schäumenden Fluten erhoben sich dicht mit Nadelwald bewachsene Vorberge aus einer bis zum Wasser hinunter mit Eichen und Weiden bestandenen Ebene. Wahrscheinlich hatte der Fluß seinerzeit die weitere Ausbreitung der Feuersbrunst verhindert. Ich fragte mich, ob dieses Ufer je so dicht bewaldet gewesen war wie das gegenüberliegende.
Schau. Nachtauge stieß ein erregtes Grollen aus. Ich spürte das Brennen seines Hungers, während wir einen stattlichen Bock beobachteten, der an den Fluß zur Tränke gekommen war. Er hob seinen gehörnten Kopf und schaute zu uns herüber, aufmerksam, aber nicht erschreckt, weil er sich in Sicherheit wußte. Bei Nachtauges Gedanken an frisches Fleisch lief mir das Wasser im Mund zusammen. Am anderen Ufer wird die Jagd ergiebiger sein.
Hoffentlich. Er sprang von der Böschung auf den schneebedeckten Saum aus Geröll und Kies am Wasser und trabte gemächlich flußaufwärts. Ich folgte ihm weniger anmutig und hob auf, was an trockenen Ästen und Zweigen zu finden war. Das Gehen war mühsamer hier unten und der Wind schneidender, befrachtet mit der Kälte des Wassers. Doch andererseits war es auch spannender, voller abenteuerlicher Möglichkeiten. Ich beobachtete Nachtauge, der stöbernd vor mir herlief. Seine Bewegungen waren anders, er hatte viel von seiner welpenhaften Neugier und Verspieltheit verloren. Der Rehschädel, der früher eine gründliche Untersuchung erfordert hätte, wurde jetzt nur mit einem Pfotenschlag herumgedreht, zwecks Feststellung, ob es sich wirklich nur um blanke Knochen handelte, bevor Nachtauge seinen Erkundungsgang fortsetzte. Zielstrebig untersuchte er angespültes Treibgut, ob sich vielleicht Beute darunter verbarg und schnüffelte an der unterspülten Böschung nach vielversprechenden Duftspuren. Einen kleinen Nager, der sich zur Unzeit aus seinem Bau gewagt hatte, erlegte und verschlang er im Nu. Anschließend wühlte er kurz am Eingang der Höhle, steckte die Nase in den freigelegten Gang, um nachzuprüfen, ob es noch etwas zu holen gab, dann trottete er weiter.
Während ich ihm gemächlich folgte, hielt ich den Blick auf den Fluß gerichtet. Je mehr ich von ihm sah, desto bedrohlicher erschien er mir. Wie tief er war und wie stark die Strömung, ließ sich an den mächtigen Stämmen ermessen, die von den schäumenden Wellen vorübergetragen wurden. Ich fragte mich, ob der Sturm weiter oben heftiger getobt hatte, um solche Riesen zu entwurzeln, oder waren sie dem hinterhältigen Zerstörungswerk des Wassers zum Opfer gefallen, das ihr Fundament unterhöhlt hatte, bis sie in den Fluß gestürzt waren?
Nachtauge lief immer in einiger Entfernung vor mir her. Er fing noch zwei weitere von den kleinen Nagern. Ich konnte nicht sagen, um was für Tiere es sich handelte; sie sahen etwas anders aus als Ratten, und das glatte Fell schien darauf hinzudeuten, daß sie im Wasser zu Hause waren.
Fleisch muß nicht unbedingt einen Namen haben, belehrte Nachtauge mich pragmatisch, und ich mußte ihm beipflichten. Er schleuderte seine Beute spielerisch in die Luft, fing sie auf, schüttelte sie wild hin und her, warf sie erneut in die Höhe, machte einen Satz und haschte sie mitten im Flug. Seine Freude war ansteckend, Freude über die einfachen, aber grundlegenden Dinge des Lebens: eine erfolgreiche Jagd, Fleisch, um seinen Bauch zu füllen, und Zeit, um es ungestört zu vertilgen. Diesmal flog der leblose Pelzball über meinen Kopf hinweg. Ich sprang hoch, fing ihn auf und warf ihn noch höher. Nachtauge hüpfte ihm auf den Hinterbeinen entgegen, schnappte ihn zwischen den Zähnen, kauerte sich hin und zeigte mir herausfordernd die Beute. Komm und hol sie dir!
Ich ließ das gesammelte Holz fallen und jagte ihm nach. Er wich mir mühelos aus, schlug einen Bogen und entschlüpfte meinen ausgestreckten Armen, als ich mich auf ihn warf.
»He!«
Wir hielten beide in unserem Spiel inne. Ich erhob mich langsam. Der Rufer war einer von Niks Männern, der oben auf der Böschung stand und zu uns herunterschaute. Er trug seinen Bogen in der
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