Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
aus vergangener Zeit.
»Ich wurde in den Chalced-Staaten geboren. Einem kleinen Küstenort, Fischerei- und Handelshafen. Lees. Meine Mutter brachte mich und Großmutter mit Waschen durch. Mein Vater starb, bevor ich geboren wurde. Auf See geblieben. Meine Großmutter gab acht auf mich, aber sie war alt und häufig krank.« Der Klang seiner Stimme verriet mir das bittere Lächeln, das seine Worte begleitete. »Ein Leben in Sklaverei ist der Gesundheit nicht förderlich. Meine Mutter liebte mich und tat für mich, was sie konnte, aber ich war kein Junge, der sich in der Hütte bei ruhigen Spielen vergnügte. Und es gab zu Hause niemanden, der stark genug war, mich an der Kandare zu halten.
Also verschwisterte ich mich, sehr jung, mit dem einzigen starken, männlichen Geschöpf in meiner Nähe, dem an mir lag. Mit einem mageren, narbenübersäten Straßenköter. Sein einziges Ziel war Überleben, und seine Treue gehörte nur mir. Wir waren Rudelbrüder. Seine Welt, seine Art zu leben, waren alles, was ich kannte. Nehmen, was man will, wann man es will und nicht weiter denken als bis zu einem vollen Bauch. Ich bin sicher, du verstehst, was ich meine. Die Nachbarn dachten, ich sei stumm. Meine Mutter dachte, ich sei blöde. Meine Großmutter, glaube ich, hegte einen Verdacht. Sie versuchte, den Hund zu verjagen, aber wie du, hatte ich in dieser Sache meinen eigenen Kopf. Ich muß ungefähr acht gewesen sein, als er zwischen einen Gaul und seinen Karren geriet und totgetreten wurde. Er hatte gerade eine Speckseite gestohlen.« Burrich stand vom Stuhl auf und ging zu seinen Decken.
Als er mir Nosy weggenommen hatte, war ich noch jünger gewesen als acht Jahre. Ich hatte geglaubt, er sei tot. Burrich jedoch hatte den wirklichen, gewaltsamen Tod seines Brudertiers miterlebt, und das war fast so schlimm, wie selbst zu sterben. »Was hast du getan?« fragte ich leise.
Ich hörte, wie er sein Bett zurechtmachte und sich hinlegte. »Ich lernte sprechen«, antwortete er nach einer Weile. »Meine Großmutter zwang mich, nach Reißers Tod weiterzuleben. In gewisser Hinsicht übertrug ich meine Anhänglichkeit auf sie. Nicht, daß ich vergaß, was ich von Reißer gelernt hatte. Ich wurde ein Dieb, ein ziemlich erfolgreicher sogar. Mit meinem neuen Gewerbe konnte ich meiner Mutter und Großmutter das Leben etwas leichter machen; zum Glück fanden sie nie heraus, was ich tat. Ein paar Jahre später wütete die Blutpest in Chalced. Es war das erste Mal, daß ich den Schrecken dieser Seuche erlebte. Sie starben beide, und ich war allein. Also ging ich zu den Soldaten.«
Ich hörte staunend zu. All die Jahre hatte ich Burrich als einen verschlossenen Menschen gekannt. Alkohol löste ihm nicht die Zunge, sondern machte ihn höchstens noch schweigsamer. Jetzt strömten die Worte aus ihm heraus und machten dem Rätselraten über seine Herkunft und Vergangenheit ein Ende. Was ihn veranlaßt hatte, sich mir zu öffnen, wußte ich nicht. Seine Stimme war das einzige Geräusch in dem nur vom Schein des erlöschenden Feuers erleuchteten Raum.
»Ich kämpfte erst für einen kleinen Landjunker in Chalced mit Namen Jecto. Ohne zu wissen oder mich darum zu kümmern, aus welchem Grund wir kämpften, ob wir im Recht oder Unrecht waren.« Er schnaufte leise. »Wie ich dir bereits gesagt habe, überleben ist nicht leben. Doch mir ging es nicht schlecht. Bald hatte ich mir den Ruf eines Berserkers erworben. Niemand erwartet von einem halbwüchsigen Burschen, daß er mit der Wildheit und Tücke eines Tieres kämpft. Es war mein einziges Mittel, um mich in der Gesellschaft der Männer zu behaupten, die damals meine Kameraden waren. Doch eines Tages waren wir bei einem Raubzug die Unterlegenen. Mehrere Monate, nein, ein ganzes Jahr hatte ich Gelegenheit, den Haß meiner Großmutter auf Sklavenhalter begreifen zu lernen. Als es mir gelang zu fliehen, tat ich, wovon sie immer geträumt hatte. Ich ging über die Grenze in die Sechs Provinzen, wo man keine Sklaverei kennt. Grimm war damals Herzog von Shoaks. Ich trat in seinen Dienst. Mit der Zeit ergab es sich irgendwie, daß ich für die Pferde meiner Einheit zuständig wurde. Grimms Truppen waren vornehme Herren verglichen mit dem Abschaum in Jectos Sold, trotzdem zog ich die Gesellschaft von Pferden der ihren vor.
Nach dem Ende des Krieges um Sandsegge nahm Herzog Grimm mich mit in seine Burg. Ich verschwisterte mich dort mit einem jungen Hengst, Neko. Ich war sein Pfleger, aber er gehörte mir nicht.
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