Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
Hund wieder einen Herrn. Einen Herrn von anderer Art. Ich weiß, du hast die Leute sagen hören, Chivalric wäre kalt und steif und unnahbar gewesen. Das stimmt nicht. Er war, wie er glaubte, daß ein Mann sein sollte. Mehr noch, wie nach seiner Überzeugung ein Mann sich wünschen sollte zu sein. Er nahm einen diebischen, verlotterten Herumtreiber und...« Er stockte plötzlich und seufzte. »Am nächsten Tag scheuchte er mich vor Morgengrauen aus dem Bett. Arbeit mit der Waffe, bis keiner von uns sich mehr auf den Beinen halten konnte. Ich hatte nie eine ordentliche Ausbildung erhalten. Man hatte mir eine Pike in die Hand gedrückt und mich in den Kampf geschickt. Er holte das Versäumte nach, mitleidlos, und er lehrte mich das Schwertfechten. Er war kein Freund der Streitaxt, aber ich hatte Lust dazu, also brachte er mir bei, was er wußte und berief einen Mann zu meinem Lehrer, der die Technik dieser besonderen Waffe beherrschte. Den Rest des Tages mußte ich ihm auf Schritt und Tritt folgen. Wie ein Hund, ganz recht. Warum? Vielleicht fehlte ihm ein Gefährte in seinem Alter. Vielleicht vermißte er Veritas. Vielleicht – ich weiß es nicht.
Er unterwies mich in den Zahlen, dann im Lesen und Schreiben. Er vertraute mir sein Pferd an. Dann seine Falken und Hunde. Schließlich übertrug er mir die Verantwortung für unsere Packtiere und Zugpferde. Doch es waren nicht nur praktische Dinge, die er mich lehrte. Reinlichkeit, Aufrichtigkeit – plötzlich erhielten die Dinge Gewicht, die meine Mutter und meine Großmutter mir vor so langer Zeit einzuprägen versucht hatten. An seinem Beispiel lernte ich, daß es Tugenden waren, die einen Mann auszeichnen, nicht bloß Manieren für das Haus einer Frau. Er lehrte mich, ein Mensch zu sein, statt ein Tier in menschlicher Gestalt. Durch ihn sah ich, es waren mehr als Regeln, es war eine Art zu sein. Leben, nicht nur überleben.«
Burrich schwieg. Ich hörte ihn aufstehen. Er ging zum Tisch und nahm die Flasche Holunderbeerwein, die Chade zurückgelassen hatte. Ich beobachtete, wie er sie in den Händen drehte und dann wieder hinstellte. Dann ließ er sich auf einen der Stühle fallen und starrte ins Feuer.
»Chade meint, ich sollte morgen von hier weggehen«, sagte er leise. »Ich denke, er hat recht.«
Ich setzte mich auf und schaute ihn an. Der rötliche Widerschein der Glut verwandelte Burrichs Gesicht in eine rätselvolle Schattenlandschaft. Es gelang mir nicht, in seinen Augen zu lesen.
»Chade meint, du wärst zu lange mein Junge gewesen. Chades Junge, Veritas’ Junge, sogar Philias Junge. Wir alle hätten verhindert, daß du erwachsen wirst. Er glaubt, als für dich der Augenblick kam, als Mann zu entscheiden, hast du es als Junge getan. Impulsiv. In der Absicht, das Richtige zu tun, das Gute. Doch Absichten, auch die besten, genügen oft nicht.«
»Und mich auszuschicken, um Menschen zu töten, war eurer Meinung nach Arbeit für einen Jungen?« fragte ich ungläubig.
»Hast du mir nicht zugehört? Ich habe als Junge Menschen getötet. Es hat keinen Mann aus mir gemacht. Aus dir ebensowenig.«
»Und was soll ich jetzt tun?« erkundigte ich mich sarkastisch. »Auf die Suche nach einem Prinzen gehen, der mir gute Manieren beibringt?«
»Da! Siehst du? Die Antwort eines unreifen Knaben. Du verstehst etwas nicht, also wirst du aufsässig. Und bissig. Du stellst mir die Frage, aber du weißt schon, daß dir meine Antwort nicht gefallen wird.«
»Die da lautet?«
»Daß du etwas Dümmeres tun könntest, als dich auf die Suche nach einem Prinzen zu machen. Aber ich werde dir nicht sagen, was du tun sollst. Chade hat mir davon abgeraten, und ich muß ihm zustimmen. Aber nicht, weil ich glaube, daß du auch jetzt noch entscheiden würdest wie ein Junge. Ich glaube, du würdest entscheiden wie ein Tier. Immer im Jetzt lebend, kein Gedanke an morgen oder daran, was gestern gewesen ist. Ich bin sicher, du weißt, wovon ich spreche. Du hast aufgehört, wie ein Wolf zu leben, weil ich dich gezwungen habe. Jetzt muß ich dich allein lassen, damit du herausfinden kannst, was dir lieber ist, ein Mensch zu sein oder ein Wolf.«
Unsere Blicke trafen sich. Das Verstehen in seinen Augen erschreckte mich. Es war beängstigend, denken zu müssen, er könnte vielleicht wissen, was mir bevorstand. Nein. Ich wandte mich von ihm ab und hoffte fast, daß mein Zorn wiederkehrte, um mir Kraft zu geben. Aber Burrich sagte nichts mehr; er überließ mich meinen
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