Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
versuchte, dich wegen Molly zu warnen, aber du wußtest es ja besser. Durch deine Unbesonnenheit hast du das arme Mädchen in Gefahr gebracht und Philia ebenfalls. Statt auf Burrich zu hören, hast du dich mit diesem Wolf verschwistert. Du hast regelmäßig mein Urteil über König Listenreichs Gesundheit in Frage gestellt. Und deine vorletzte himmelschreiende Torheit in Bocksburg war, dich einer Verschwörung gegen die Krone anzuschließen. Seit hundert Jahren sind wir einem Bürgerkrieg nicht so nahe gewesen.«
»Und meine letzte himmelschreiende Torheit?« erkundigte ich mich mit sarkastischer Neugier.
»Justin und Serene zu töten.« Chade sagte das im Ton einer leidenschaftslosen Anklage.
»Sie hatten gerade meinen König umgebracht«, erklärte ich eisig. »Ihn ermordet, in meinen Armen. Was sollte ich tun?«
Chade stand auf und brachte es irgendwie fertig, mich zu überragen – wie früher. »Nach all den Jahren als mein Lehrling, nach meiner ausführlichen Unterweisung in der Kunst des – Ausmerzens, stürmst du mit dem blanken Dolch durch die Burg, schneidest einem die Kehle durch und erstichst den anderen in der Großen Halle, vor den versammelten Edlen... Mein Meisterschüler! Eine bessere Methode ist dir nicht eingefallen?«
»Ich war wütend!« schrie ich ihn an.
»Jawohl!« schrie er zurück. »Du warst wütend. Deshalb hast du unsere Machtbasis in Bocksburg zerstört! Du hattest das Vertrauen der Küstenherzöge, und was tust du? Präsentierst dich ihnen als tobsüchtiger Irrer und zerstörst ihr letztes bißchen Vertrauen in das Haus Weitseher!«
»Gerade eben hast du mir noch vorgeworfen, das Vertrauen dieser Herzöge zu besitzen.«
»Nein. Ich habe dir vorgeworfen, daß du dich ihnen angedient hast. Du hättest nie zulassen dürfen, daß sie dir das Kommando über Bocksburg anbieten. Hättest du deine Aufgaben erfüllt, wie es sich geziemt, wären sie nie auf diesen Gedanken verfallen. Immer und immer und immer wieder vergißt du deinen Platz. Du bist kein Prinz, du bist ein Assassine. Du bist nicht der Spieler, du bist die Spielfigur. Und wenn du dich eigenmächtig bewegst, machst du jede übergeordnete Strategie zunichte und bringst jede andere Figur auf dem Brett in Gefahr!«
Schweigen, weil man keine Antwort weiß, ist nicht das Schweigen der Einsicht oder der Kapitulation. Ich starrte Chade finster an, doch er stand unbeeindruckt vor mir und schaute auf mich hinab. Unter dem ruhigen Blick seiner grünen Augen verrauchte mein Zorn, und zurück blieb nur Bitterkeit. Meine unterschwellige Furcht kam wieder an die Oberfläche, plötzlich erschien mir mein Entschluß als Wahnsinn. Ich hatte nicht die Kraft, mich gegen sie beide zu wenden. Nach einer Weile hörte ich mich verdrossen sagen: »Also gut. In Ordnung. Du und Burrich, ihr habt recht, wie immer. Ich verspreche, ich werde aufhören zu denken und nur noch gehorchen. Was soll ich tun?«
»Nein.« Im Ton äußerster Entschiedenheit.
»Nein, was?«
Chade schüttelte langsam den Kopf. »Was mir heute überdeutlich klar geworden ist, ist die Tatsache, daß es verhängnisvoll wäre, auf dich zu bauen. Du wirst keinen Auftrag von mir bekommen. Ich werde dich nie wieder ins Vertrauen ziehen. Diese Zeiten sind vorüber.« Ich konnte die Endgültigkeit in seiner Stimme nicht fassen. Er wandte sich von mir ab, sein Blick ging in eine unbestimmte Ferne. Als er weitersprach, tat er es als Chade, nicht als mein Lehrer. »Ich liebe dich, Junge und daran wird sich nichts ändern. Aber du bist gefährlich! Und was wir versuchen müssen zu tun, ist schon gefährlich genug – auch ohne jemanden, der uns durch seine Eskapaden möglicherweise ins Verderben stürzt.«
»Was habt ihr vor?« konnte ich mich trotz allem nicht enthalten zu fragen.
Chade sah mir in die Augen, während er langsam den Kopf schüttelte. Fast glaubte ich zu hören, wie das Band zwischen uns zerriß. Plötzlich fühlte ich mich hilflos, ausgesetzt, verlassen. Betäubt verfolgte ich, wie er seinen Packen und Mantel aufhob.
»Es ist dunkel.« Ich wollte nicht, daß wir uns im Bösen trennten. »Und der Weg nach Bocksburg ist lang und beschwerlich, selbst bei Tageslicht. Warte bis zum Morgen.«
»Nein. Du würdest keine Ruhe geben und am Schorf über der Wunde kratzen, bis sie wieder anfängt zu bluten. Es sind schon genug harte Worte gefallen. Es ist besser, wenn ich jetzt gehe.«
Und er ging.
Allein saß ich da und schaute zu, wie das Feuer allmählich niederbrannte.
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