Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
einmal eine Bewegung, um mich abzuschütteln.
»Jemand muß es tun«, sagte er bestimmt. Drei Schritte später fügte er hinzu: »Eine Weile hoffte ich, es bliebe mir erspart, doch immer und immer wieder stellte ich mir die Frage: ›Wer sonst?‹« Er wandte mir das Gesicht zu und sah mich mit erloschenen Augen an. »Nie habe ich eine andere Antwort erhalten. Mir ist es auferlegt.«
»Veritas, bleib stehen«, flehte ich, doch er ging weiter. Weder eilig noch schleppend, sondern wie ein Mann, der die Entfernung geschätzt hat, die er zurücklegen muß, und seine Kräfte danach einteilt. Er würde an sein Ziel gelangen, früher oder später.
Ich wurde schwächer. Einen Augenblick fürchtete ich, ihn zu verlieren, weil ich in meinen schlafenden Körper zurückgezogen wurde; doch dann erwachte in mir eine andere, ebenso starke Furcht. Ich war schon so lange mit ihm verbunden, und auch jetzt noch in seinem Schlepptau; die Gefahr bestand, daß ich neben ihm in dieser magischen Flut ertrank. Hätte ich in diesem Reich einen Körper gehabt, hätte ich wahrscheinlich nach etwas gegriffen, um mich festzuhalten. So aber nutzte ich die einzige Möglichkeit, die mir blieb, um nicht von dem, den ich retten wollte, mit ins Verderben gerissen zu werden. Ich griff mit der Gabe hinaus nach den Menschen, deren Leben das meine berührte: Molly, meine Tochter, Chade und der Narr, Burrich und Kettricken. Weil ich keine echte Gabengemeine mit einem von ihnen hatte, war der Halt nur schwach, zusätzlich beeinträchtigt durch meine panische Angst, daß in jedem Augenblick Will, Carrod oder auch Burl auf mich aufmerksam werden konnten. Dennoch kam es mir vor, als würde Veritas’ Schritt langsamer.
»Bitte warte«, flehte ich wieder.
»Nein«, antwortete er ruhig. »Versuch nicht, mich davon abzubringen, Fitz. Ich muß es tun.«
Ich hatte nie daran gedacht, mich in der Gabe mit Veritas zu messen. Nie wäre mir der Gedanke gekommen, wir könnten uns einmal als Gegner gegenüberstehen. Doch während ich ihn aufzuhalten versuchte, fühlte ich mich mehr und mehr wie ein Kind, das sich zappelnd und mit trommelnden Fäusten gegen den Vater sträubt, der es davon unbeeindruckt ins Bett verfrachtet. Veritas ignorierte meine Attacken nicht nur; ich spürte, sein Wille, seine ganze Wahrnehmung, waren auf etwas anderes gerichtet. Er näherte sich unaufhaltsam dem schwarzen Strom, und mein körperloses Bewußtsein zog er mit sich. Der Selbsterhaltungstrieb verlieh meinen Bemühungen Nachdruck. Ich bemühte mich, ihn abzudrängen, zurückzuziehen, doch vergebens.
Vielleicht lag es daran, daß mich noch etwas anderes bewegte als nur der Wunsch, Veritas zu retten. Insgeheim wollte ich, daß er die Oberhand behielt. Wenn er der Stärkere blieb und mich mit hinunterzog, dann war ich jeder Verantwortung enthoben. Ich konnte mich der Macht öffnen und ergeben. Es wäre ein Ende aller Qualen, Erlösung. Ich war der Zweifel und der Schuld so müde, so überdrüssig der Pflichten und Verpflichtungen. Falls Veritas sich mit mir in den Strom der Gabe stürzte, konnte ich endlich den Kampf aufgeben, ohne mich schämen zu müssen.
Irgendwann standen wir am Rand des irisierenden Stroms der Macht. Ich betrachtete ihn mit Veritas’ Augen. Es gab kein Ufer, nur eine messerscharfe Kante, wo fester Boden an fließende Andersartigkeit stieß. Ich sah es als etwas Fremdes, eine Pervertierung der fundamentalen Struktur unserer Welt. Schwerfällig sank Veritas auf ein Knie nieder und ließ den Blick in die schillernde Schwärze tauchen. Ich wußte nicht, ob er zögerte, um Lebewohl zu sagen, oder ob er Kraft sammelte vor dem entscheidenden Schritt. Mein Wille zu widerstehen schwand. Dies war die Schwelle zu gefährlichen Wundern, die sich meiner Vorstellungskraft entzogen. Von Hunger und Neugier verlockt, beugten wir uns weiter vor.
Ehe ich begriff, was geschah, tauchte Veritas die Arme bis zu den Ellbogen in die Magie.
Ich teilte diese plötzliche Erfahrung mit ihm und schrie mit seiner Stimme, als die heiße Flut Fleisch und Muskeln von seinen Armen sengte. Ich schwöre, ich fühlte das ätzende Züngeln über die blanken Knochen seiner Finger, Handgelenke und Unterarme. Ich spürte seinen Schmerz, doch er wurde verdrängt von einem verzückten Lächeln, das sein Gesicht überstrahlte. Meine Verbindung mit ihm erschien mir plötzlich als ein unzulängliches Ding, das mich daran hinderte zu fühlen, was er fühlte. Ich sehnte mich danach, an seiner Seite zu
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