Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
seinem illegitimen Brudersohn zuteilte. Verrät dir das nicht vielleicht etwas?«
Ich schwieg eine Weile. Dann fragte ich widerwillig: »Was soll es mir denn verraten?«
Der Narr schwang die Marionette auf den Boden, wo das knochige Geschöpf schlenkernd seine Gliedmaßen zurechtschüttelte. »Weder König Listenreichs Tod noch die Gerüchte über Veritas’ Verschwinden und möglichen Tod haben dieses Wiesel aus seinem Schlupfloch gescheucht. Erst als er glauben mußte, du seist ermordet worden, loderte die Flamme des Zorns in ihm heiß genug, daß er seine Tarnung aufgab, aus den Schatten hervortrat und öffentlich erklärte, er werde dafür sorgen, daß ein echter Weitseher den Thron besteigt.« Die Marionette stampfte mit dem Fuß auf.
»Willst du sagen, er tut das für mich, um meinetwillen? Obwohl er weiß, ich will nicht, daß meine Tochter diesem Thron geopfert wird, der Leben vergiftet?«
Die Marionette kreuzte die Arme und wiegte nachdenklich den Kopf. »Mir scheint, daß Chade immer getan hat, was seiner Meinung nach das Beste für dich war. Ob du nun derselben Ansicht warst oder nicht. Vielleicht weitet er diese Fürsorge auf deine Tochter aus. Immerhin ist sie seine Großnichte und der letzte lebende Sproß seines Geschlechts. Abgesehen von Edel und dir natürlich.« Die Marionette vollführte ein paar Tanzschritte. »Welche andere Möglichkeit hat ein Mann in seinem Alter, die Zukunft eines so kleinen Kindes zu sichern? Er rechnet nicht damit, ewig zu leben. Vielleicht denkt er, besser sie sitzt auf dem Thron, als sie kniet davor, der Gnade eines anderen Interessenten ausgeliefert, der von keinerlei sentimentalen Skrupeln geplagt wird.«
Ich wandte dem Narren den Rücken zu und suchte Kleidungsstücke für die Wäsche zusammen. Er hatte mir zu denken gegeben; ich brauchte Zeit, um seine Worte zu verarbeiten.
Ich war bereit, Kettrickens Zusammenstellung der Ausrüstung für ihre Expedition gutzuheißen und aufrichtig dankbar, daß sie auch für meine Ausstattung gesorgt hatte. Hätte sie mich in dieser Hinsicht ignoriert, hätte ich ihr nicht unbedingt einen Vorwurf machen können. Doch Jofron erschien eines Tages mit einem Stapel Kleidung und Bettzeug für mich und wollte Maß für die beutelartigen Stiefel nehmen, die man in den Bergen trug. Sie erwies sich als vergnügliche Gesellschaft, denn sie und der Narr brachen sogleich ein freundschaftliches Geplänkel vom Zaun und einer gab dem anderen mit gleicher Münze heraus. Der Narr beherrschte Chyurda besser als ich; häufig fiel es mir schwer, der Unterhaltung zu folgen, während ich von den Wortspielen des Narren die Hälfte nicht begriff. Flüchtig dachte ich darüber nach, welcher Art das Verhältnis zwischen den beiden wohl sein mochte. In der ersten Zeit meiner Ankunft hatte ich Jofron für eine Art Schülerin gehalten; nun fragte ich mich, ob sie das Interesse an seiner Philosophie nicht nur als Vorwand gebrauchte, um in seiner Nähe sein zu können. Bevor sie ging, nahm sie auch an den Füßen des Narren Maß und erkundigte sich, welche Farben und Besätze er an seinen Stiefeln haben wollte.
»Neues Schuhwerk?« fragte ich ihn, als Jofron sich verabschiedet hatte. »So selten, wie du vor die Tür gehst, wundere ich mich, daß du deine Sohlen überhaupt abnutzt.«
Er schaute mich ernst an, und das humorvolle Leuchten in seinen Augen erlosch. »Du weißt, ich muß mit dir gehen«, sagte er bedächtig, und ein seltsames Lächeln spielte um seinen Mund. »Weshalb, glaubst du, sind wir an diesem fernen Ort wieder zusammengeführt worden? Durch das Zusammenwirken des Katalysators und des Weißen Propheten sollen diese Zeitläufe auf die rechte Bahn zurückgeführt werden. Ich glaube, wenn unsere Suche erfolgreich ist, werden die Roten Schiffe von der Küste der Sechs Provinzen vertrieben, und ein Weitseher wird den Thron besteigen.«
»Das entspräche den meisten der Weissagungen«, meldete Krähe sich aus ihrem Herdwinkel zu Wort. Sie verknotete die letzte Maschenreihe an einem dicken Strickhandschuh. »Wenn die Seuche des seelenlosen Hungers die Umschreibung für Entfremden ist und euer Vorhaben dem ein Ende bereitet, wäre das die Erfüllung einer weiteren Prophezeiung.«
Krähes Talent, zu jeder Gelegenheit eine Prophezeiung parat zu haben, begann an meinen Nerven zu zehren. Ich zwang mich zur Ruhe und fragte den Narren: »Und was meint Königin Kettricken zu diesem unerwarteten Zuwachs?«
»Ich habe nicht mit ihr darüber
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