Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
Weigerung verständnisvoll hinnehmen konnte. Ich schämte mich, wenn ich daran dachte, daß die rechtmäßige Königin der Sechs Provinzen auf die Mildtätigkeit von Freunden und Verwandten angewiesen war; doch nur, wenn ich nicht gerade meinen Groll gegen sie nährte.
Kettricken hatte die Expedition nach ihren Vorstellungen organisiert, die nicht unbedingt mit meinen übereinstimmten. Mir behagte das meiste nicht. In den wenigen Tagen, die mir bis zum Aufbruch blieben, ließ sie sich herab, mich in einigen Punkten nach meiner Meinung zu fragen, doch meine Ratschläge wurden ebenso häufig verworfen wie beachtet. Wir gingen höflich miteinander um, ohne die Wärme von entweder Freundschaft oder Zorn. Auf vielen Gebieten waren wir unterschiedlicher Ansicht, und in solchen Fällen tat sie, was sie für das Beste hielt. Ohne Worte wurde mir klargemacht, daß mein Urteil in der Vergangenheit fehlerhaft und kurzsichtig gewesen war.
Ich wollte keine Tragtiere dabeihaben, die aller Wahrscheinlichkeit nach irgendwann vor Hunger oder Kälte starben. Auch wenn ich mich noch so gründlich abschirmte, durch die Alte Macht war ich dazu verurteilt, ihre Leiden mitzuempfinden. Kettricken jedoch hatte ein halbes Dutzend Tiere beschafft, von denen sie behauptete, daß Schnee und Kälte ihnen nichts ausmachten, und die mit kargem Futter auskamen. Es waren Jeppas, die in einigen abgelegenen Regionen des Bergreichs lebten. Mich erinnerten sie an Ziegen mit einem langen Hals und Pfoten statt Hufen. Ich bezweifelte, daß ihre Nützlichkeit die Mühe aufwog, sie zu versorgen. Kettricken erklärte mir ruhig, daß ich mich bald an sie gewöhnen würde.
Hängt davon ab, wie sie schmecken, bemerkte Nachtauge philosophisch. Ich war geneigt, ihm zuzustimmen.
Kettrickens Auswahl unserer Begleiter bereitete mir noch größeres Mißfallen. Ohnehin hielt ich es für dumm, daß sie ihr Leben aufs Spiel setzte, doch behielt ich diese Meinung weise für mich. Daß Merle mit uns kommen sollte, ging mir erst recht gegen den Strich – besonders nachdem mir zu Ohren gekommen war, auf welche Weise sie sich ihren Platz ergattert hatte, nämlich durch die stillschweigende Übereinkunft, nur wenn man ihr mitzukommen erlaubte, würde sie schriftlich bezeugen, daß Mollys Tochter auch mein leibliches Kind war. Sie wußte, ich war der Ansicht, daß sie mich verraten hatte; und so ging sie mir klugerweise aus dem Weg. Des weiteren begleiteten uns drei Vettern Kettrickens, große kräftige Burschen und erfahrene Bergsteiger. Unser Trupp zählte also sechs Personen. Kettricken versicherte mir, wenn sechs nicht genug wären, um Veritas zu finden, würden auch sechshundert nicht ausreichen. Ich stimmte ihr zu, daß es leichter war, einen kleinen Trupp zu verpflegen, und man kam schneller voran als mit einem großen Troß.
Chade würde nicht mit uns kommen. Er wollte nach Bocksburg zurückkehren, um Philia die Nachricht zu bringen, daß Kettricken noch einmal versuchen wollte, Veritas zu finden, und um das Gerücht auszustreuen, es gäbe wahrhaftig einen Erben für den Thron der Sechs Provinzen. Außerdem wollte er Burrich und Molly und das Kind besuchen. Er bot mir an, Molly, Philia und Burrich wissen zu lassen, daß ich noch am Leben war. Als er mir das Angebot machte, wirkte er befangen, denn er wußte nur allzu gut, daß ich ihm seine Beteiligung an dem Tauziehen um meine Tochter übelnahm. Doch ich schluckte meinen Ärger hinunter und redete höflich mit ihm, und er versprach mir, niemandem etwas von mir zu verraten. Ich hielt es so für das beste. Mein Gefühl sagte mir, nur ich konnte Molly verständlich machen, weshalb ich so und nicht anders gehandelt hatte. Und sie hatte schon einmal um mich getrauert. Falls ich diese Queste nicht überleben sollte, würde ihr das keinen neuen Schmerz bereiten.
Chade kam am Abend seines Aufbruchs noch einmal, um Lebewohl zu sagen. Anfangs versuchten wir beide so zu tun, als herrsche zwischen uns schönste Eintracht. Wir sprachen über Kleinigkeiten, die uns beiden einmal wichtig gewesen waren. Ich empfand aufrichtige Trauer, als er mir von Schleichers Tod erzählte. Dann versuchte ich ihn zu überreden, Rötel und Rußflocke mitzunehmen und sie wieder in Burrichs Obhut zu geben. Rötel brauchte eine feste Hand, die er hier nicht bekam, und für Burrich konnte er viel mehr sein als nur ein Reittier. Man konnte seine Dienste als Deckhengst anbieten, gegen Silber oder Tauschwaren, und Rußflockes Fohlen bedeutete bares
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