Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
Geld. Doch Chade schüttelte den Kopf und gab zur Antwort, für ihn wäre es wichtig, schnell zu reisen, um möglichst keine Aufmerksamkeit zu erregen. Ein Mann mit drei Pferden war ein gefundenes Fressen für Wegelagerer, wenn nichts sonst. Ich hatte den biestigen kleinen Wallach gesehen, den Chade ritt. Tückisch war er, aber auch zäh und trittsicher und, so versicherte mir Chade, sehr schnell bei einer Verfolgungsjagd über rauhes Gelände. Er grinste verwegen, während er das sagte, und ich wußte, diese Eigenschaft des Pferdes war bereits gründlich auf die Probe gestellt worden. Der Narr hatte recht – Krieg und Intrigen wirkten auf Chade wie ein Jungbrunnen. Ich musterte ihn in seinen hohen Reitstiefeln und dem weiten Mantel, das Medaillon mit dem Bockswappen auf seiner Stirn, die grünen Augen, und versuchte, ihn mit dem sanften alten Mann in Verbindung zu bringen, der mich gelehrt hatte, Menschen kunstgerecht zu ermorden. Die Zahl seiner Jahre war nicht geringer geworden, doch er trug leichter an ihnen. Insgeheim fragte ich mich, welche Drogen er heute nahm, um seine Kraft zu erhalten.
Doch ungeachtet aller Veränderungen blieb er Chade. Ich wollte die Hand nach ihm ausstrecken, um mich zu vergewissern, daß es noch immer ein Band zwischen uns gab, aber ich konnte es nicht. Ich verstand mich selbst nicht. Wie kam es, daß seine Meinung mir immer noch so wichtig war, obwohl ich wußte, er hatte keine Skrupel, mir mein Kind und mein Glück zu nehmen, um seinem Ideal der Königstreue zu dienen? Ich empfand es als Schwäche, daß ich nicht den Willen aufbrachte, ihn zu hassen. Wenn ich in meinem Innern nach diesem Haß suchte, fand ich nur einen kindischen Trotz, der mich daran hinderte, beim Abschied seine Hand zu ergreifen oder ihm Glück zu wünschen. Er ging souverän über meine Verstocktheit hinweg, wodurch ich mich noch unreifer fühlte.
Nachdem Chade fort war, übergab mir der Narr die lederne Satteltasche, die er für mich zurückgelassen hatte. Der Inhalt bestand aus einem erstklassigen Gürtelmesser, einem kleinen Beutel voll Münzen und einer Auswahl von giftigen und heilsamen Kräutern, einschließlich eines größeren Vorrats an Elfenrinde. Eingewickelt und sorgfältig beschriftet, man solle nur mit Vorsicht davon Gebrauch machen und nur in größter Not, ein Briefchen mit Carrissamen. In einer abgewetzten Lederscheide ein schmuckloses, aber solides Kurzschwert. Aus heiterem Himmel wallte ein unerklärlicher Ärger in mir auf. »Das sieht ihm ähnlich«, empörte ich mich und schüttete die Tasche auf der Werkbank des Narren aus, damit er die Bescherung in Augenschein nehmen konnte. »Da! Gifte und Messer! Das fällt ihm für mich ein. So sieht er mich immer noch! Der Tod ist alles, was er sich für mich vorstellen kann!«
»Du solltest das wirklich nicht als einen Wink mit dem Zaunpfahl betrachten«, bemerkte der Narr milde. Er schob das Messer von der Marionette weg, die er gerade mit Schnüren versah. »Vielleicht dachte er, du könntest das eine oder das andere zu deinem Schutz gebrauchen.«
»Verstehst du nicht?« fuhr ich ihn an. »Dies sind Geschenke für den Knaben, dem Chade das Handwerk des Meuchelmörders beigebracht hatte. Er will nicht sehen, daß ich heute ein anderer bin. Er kann mir nicht verzeihen, daß ich ein eigenes Leben führen will.«
»Ebensowenig, wie du ihm verzeihen kannst, daß er nicht mehr dein gütiger, leicht angestaubter Mentor ist«, äußerte der Narr. Er knotete die Schnüre vom Führkreuz an den Gliedmaßen der Marionette fest. »Es ist irgendwie unheimlich, nicht wahr, ihn umhergehen zu sehen wie einen Kriegsmann, zu erleben, wie er sich wohlgemut in Gefahr begibt für etwas, woran er glaubt, mit Frauen kurzweilt und sich ganz allgemein so benimmt, als erhöbe er Anspruch auf ein Leben nach eigener Fasson?«
Seine Worte trafen mich wie ein Guß kaltes Wasser. Konnte es möglich sein, daß ich neidisch war, weil Chade kühn für sich beanspruchte, was mir nicht vergönnt zu sein schien? »Das hat damit gar nichts zu tun!« fauchte ich.
Die Marionette wackelte zurechtweisend mit dem Finger, während der Narr mir über ihren Kopf hinweg zublinzelte. Die Puppe hatte eine beunruhigende Ähnlichkeit mit Rätzel. »Mich deucht«, sagte der Narr zu niemand besonderem, »daß es nicht Veritas’ Bockshaupt ist, das er auf der Stirn trägt. Nein, das Wappen, für das er sich entschieden hat, ähnelt mehr einem – laß mich überlegen – das Prinz Veritas
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