Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
und her. Ein Mädchen grub bereits ein Stück Schmalzgebackenes aus der Tasche, während ein Junge vor ihm einen Lederriemen in Schlangenlinien über den Boden zog und versuchte, ihn zum Tauziehen herauszufordern. Ich stellte mich blind.
Ich komme später nach, ließ er mich wissen.
Selbstverständlich. Der Narr und ich setzten unseren Weg fort. Bei einem Blick zurück sah ich den Wolf in das Leder verbissen, alle viere gespreizt und eingestemmt, während zwei Jungen am anderen Ende aus Leibeskräften zogen. Jetzt wußte ich, wie er seine Nachmittage verbracht hatte. Ich muß zugeben, es versetzte mir einen Stich.
Kettricken wartete bereits, und mit ihr sechs beladene Jeppas. Nachträglich wünschte ich mir, ich hätte mir die Mühe gemacht, die Tiere besser kennenzulernen und etwas über ihre Behandlung zu erfahren, doch ich war davon ausgegangen, daß die anderen sich um sie kümmern würden. »Wir nehmen sie trotzdem mit? Alle?« fragte ich unglücklich.
»Es würde zu lange dauern, die Lasten abzunehmen, neu zu packen und wieder aufzuladen. Wir können unterwegs die Ausrüstung und Tiere zurücklassen, die wir nicht brauchen. Jetzt aber haben wir Eile.«
»Dann brechen wir auf.«
Kettricken wandte sich mit hochgezogenen Augenbrauen an den Narren. »Was willst du hier? Fitz Lebewohl sagen?«
»Ich gehe, wohin er geht«, erwiderte der Narr ruhig.
Die Königin schaute ihn an, und ihre harten Züge wurden weicher. »Es wird kalt sein, Narr. Ich habe nicht vergessen, wie du während unserer Flucht unter der Kälte gelitten hast. Weiter oben in den Bergen herrscht noch lange Winter, nachdem es in Jhaampe Frühling geworden ist.«
»Ich gehe, wohin er geht«, wiederholte der Narr unbeeindruckt.
Kettricken schüttelte den Kopf. Sie wandte sich schulterzuckend ab, schritt zur Spitze der Jeppakolonne und schnippte mit den Fingern. Das Leittier setzte sich gehorsam in Bewegung, und die anderen fünf folgten ihm. Ihre Fügsamkeit beeindruckte mich. Ich spürte kurz zu ihnen hin und stieß auf einen derartig stark entwickelten Herdeninstinkt, daß sie sich kaum als Einzelwesen betrachteten. Solange das Leittier Kettricken folgte, würden wir mit den anderen keine Mühe haben.
Kettricken führte uns einen Weg entlang, der kaum mehr als ein Pfad war und der sich zwischen den verstreut liegenden Hütten hindurchschlängelte, in denen die Menschen Quartier genommen hatten, die in Jhaampe überwinterten. Sehr bald hatten wir diesen Bezirk hinter uns gelassen und wanderten durch einen ehrfurchtgebietenden Tann. Der Narr und ich bildeten die Nachhut. Ich beobachtete das vor mir gehende Jeppa und bemerkte, wie seine breiten, tatzenähnlichen Füße mit den dicken Sohlenpolstern sich auf dem Schnee spreizten wie Nachtauges Pfoten. Ihre Gangart war ein gemächliches Schreiten.
Wir waren noch nicht allzuweit gekommen, als wir einen Ruf hinter uns hörten. Ich zuckte zusammen und warf hastig einen Blick über die Schulter. Es war Merle, die hinter uns herlief. Der Reisesack hüpfte auf ihrem Rücken. Als sie uns eingeholt hatte, keuchte sie vorwurfsvoll: »Ihr seid ohne mich gegangen!«
Der Narr grinste, und ich zuckte die Schultern. »Ich habe dem Befehl meiner Königin gehorcht.«
Merle funkelte uns an, dann stapfte sie weiter, vorbei an den Jeppas bis nach vorn zu Kettricken. Die Stimmen der Frauen waren in der klaren Luft deutlich zu vernehmen. »Ich hatte dir gesagt, daß ich sofort aufbrechen würde«, sagte die Königin scharf. »Und das habe ich getan.«
Zu meiner Überraschung war Merle klug genug, sich nicht weiter zu beschweren. Kurze Zeit kämpfte sie sich an Kettrickens Seite durch den lockeren Pulverschnee, dann wurde sie immer langsamer, ließ erst die Jeppas, dann den Narren und mich vorbei und reihte sich hinter mir ein. Sie würde Schwierigkeiten haben, mit uns Schritt zu halten. Unwillkürlich keimte Mitleid in mir auf, aber dann dachte ich an meine Tochter und schaute nicht einmal mehr zurück, um zu sehen, ob Merle noch da war.
So begann ein langer, ereignisloser Tag. Der Pfad führte bergan, nicht sehr steil, aber stetig, was auf die Dauer an den Kräften zehrte. Es wurde nicht viel gesprochen. Ich war vollauf damit beschäftigt zu atmen und an dem stärker werdenden Schmerz in meinem Rücken vorbeizudenken. Über der Wunde hatte sich neues Fleisch gebildet; aber die Muskeln darunter mußten sich erst daran gewöhnen, wieder gefordert zu werden.
Hohe Bäume ragten wie Pfeiler um uns herum auf,
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