Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
beiden anderen auf sich hatte.
Kettricken betrachtete die Glyphen aus dem Kartenraum.
»Ähnliche Zeichen habe ich schon gesehen«, meinte sie. »Aber selten. Niemand versteht sie mehr wirklich zu lesen –, wenn man auch von einigen noch weiß, was sie bedeuten. Man findet sie an merkwürdigen Orten, eingemeißelt in Steinmale. Einige davon stehen am Westende der Abyssusbrücke. Niemand weiß, aus welcher Zeit sie stammen oder welchem Zweck sie dienen. Von manchen glaubt man, daß sie Grabstätten bezeichnen. Andere behaupten, es wären Grenzmarkierungen.«
»Könnt Ihr welche davon deuten?« fragte ich gespannt.
»Ein paar. Sie gehören zu einem Wettkampfspiel. Manche haben größere Macht als andere...« Sie studierte mein Gekrakel. »Keins davon sieht genauso aus wie die, die ich kenne«, meinte sie schließlich enttäuscht. »Dies hier hat Ähnlichkeit mit dem Zeichen für ›Stein‹. Aber die anderen sind mir ein Rätsel.«
»Nun, es ist eins von denen, das hier eingezeichnet war.« Ich versuchte, mir meine eigene Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. ›Stein‹ verhalf mir zu keinerlei Erleuchtung. »Hier, an diesem Punkt, der von uns aus gesehen am günstigsten zu liegen scheint. Soll er unser nächstes Ziel sein?«
»Ich hätte gerne die Stadt gesehen«, sagte der Narr leise. »Und den Drachen.«
»Ja.« Ich nickte. »Beides sind Wunder, die man nie vergißt. Viel Wissen liegt dort verborgen. Wenn wir nur Zeit hätten, fänden wir dort wahrscheinlich die Antworten auf die meisten unserer Fragen. Wäre nicht dauernd Veritas in meinem Kopf mit seinem ›Komm zu mir, komm zu mir‹, hätte ich vielleicht gründlichere Nachforschungen angestellt.« Meine Träume von Molly und Chade ließ ich unerwähnt. Das ging niemanden etwas an.
»Ganz bestimmt«, pflichtete Krähe mir bei. »Und ganz bestimmt wärst du dabei in noch größere Bredouillen geraten. Ich wüßte gerne, hat er dich mit seinem Gabenbefehl gebunden, damit du auf der Straße bleibst und dich nicht links und rechts in unbedachte Abenteuer stürzt?«
Diesmal war ich entschlossen, ihr zu entlocken, woher ihr erstaunliches Wissen stammte, doch bevor ich den Mund aufmachen konnte, wiederholte der Narr leise: »Ich hätte gerne die Stadt gesehen.«
»Wir sollten jetzt alle schlafen. Beim ersten Tageslicht brechen wir auf, und wir haben einen anstrengenden Marsch vor uns. Es macht mir Mut zu wissen, daß Veritas in der Stadt gewesen ist, auch wenn ich mich einer bösen Vorahnung nicht erwehren kann. Wir müssen schnellstens zu ihm gelangen. Ich kann es nicht länger ertragen, Nacht für Nacht von dem Gedanken verfolgt zu werden, weshalb er nicht zurückgekehrt ist.«
»›So der Katalysator kommt, wird Fleisch zu Stein werden und Stein zu Fleisch. Durch seine Berührung werden erweckt die Drachen der Erde. Die schlafende Stadt wird erbeben und für ihn erwachen. So der Katalysator kommt.‹« Die Stimme des Narren klang traumverloren.
»Die Schriften von Damir dem Weißen«, erklärte Krähe ehrfurchtsvoll. Sie schaute mich an, und auf ihrem Gesicht malte sich verdrossene Enttäuschung. »Tausende Jahre Aufzeichnungen und Prophezeiungen, und sie alle gipfeln in dir?«
»Nicht meine Schuld.« Ich wühlte mich bereits in meine Decken und dachte sehnsüchtig an den fast warmen Tag, der mir vergönnt gewesen war. Der ewige Wind pfiff um die Jurte, und die Kälte drang mir bis ins Mark.
Ich dämmerte langsam ein, als der Narr mir mit einer warmen Hand übers Gesicht strich. »Schön, daß du wieder hier bist«, murmelte er.
»Danke.« Ich beschäftigte mich mit Krähes Spiel und stellte mir selbst Aufgaben, um mich in der Nacht nicht wieder in Träumen zu verlieren. Gerade hatte ich begonnen, über ein Problem nachzudenken. Plötzlich fuhr ich hoch und rief: »Narr! Deine Hand ist warm!«
»Was soll das? Wir wollen schlafen!« beschwerte Merle sich von ihrem Platz her.
Ich achtete nicht auf sie. Ich zog dem Narren die Decke vom Gesicht und berührte seine Wange. Er hob matt die Lider. »Du fühlst dich warm an«, sagte ich zu ihm. »Wie geht es dir?«
»Mir ist nicht warm«, klagte er jämmerlich. »Ich friere. Und ich bin entsetzlich müde.«
Hastig legte ich Holz auf die Glut im Becken. Ringsum rührten sich die anderen. Merle setzte sich auf und blinzelte durch das Halbdunkel zu mir herüber.
»Der Narr ist niemals warm«, erklärte ich ihnen, damit sie begriffen, weshalb ich so aufgeregt war. »Seine Haut fühlt sich kühl an. Jetzt
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