Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
machen. Ich beugte mich noch etwas vor, streckte die Hand aus und merkte im selben Augenblick, wie mein rechter Fuß zu gleiten begann.
Alles geschah gleichzeitig. Der Narr krallte sich an meinen Schultern fest, während der gesamte Berghang unter uns in Bewegung zu geraten schien. Es ging unaufhaltsam abwärts. Ich bekam das Seil zu fassen, und es gelang mir, eine Schlinge um mein Handgelenk zu werfen. Über mir trieb Kettricken das trittsichere Jeppa an. Ich sah, wie das Tier wankte, als sich unter unserem Gewicht das Seil mit einem Ruck spannte. Es stemmte sich gegen den Widerstand und ging stetig weiter. Das Seil schnitt tief in mein Fleisch, aber ich spürte den Schmerz kaum. Irgendwie brachte ich es fertig, auf die Füße zu kommen. Wie in einem Alptraum hatte ich das Gefühl, auf der Stelle zu laufen, während der Boden unter mir hinwegglitt. In einer trägen Pendelbewegung schwang ich an dem straff gespannten Seil hin und her. Es bot mir gerade soviel Halt, daß ich mich auf der prasselnden Steinkaskade behaupten konnte und nicht bäuchlings mitgezogen wurde. Plötzlich glaubte ich, festeren Untergrund zu spüren. Meine Stiefel waren voller Grus, aber darauf achtete ich nicht, als ich mich halb gehend, halb gezogen, stetig quer zu der Halde bewegte. Wir befanden uns weit unterhalb des Pfades, auf dem ich den Wall überquert hatte, und ich wollte gar nicht wissen, wie dicht an der Kante wir waren. Ich konzentrierte mich darauf, den Narren und das Seil festzuhalten und Fuß vor Fuß zu setzen.
Von einem Schritt zum anderen waren wir außer Gefahr. Ich hatte den Teil des Walls erreicht, der aus großen, ineinander verkeilten Blöcken bestand, ohne den losen Steinschutt, der fast unser Verderben gewesen wäre. Kettricken und das Jeppa gingen langsam weiter. Wir folgten ihnen und stiegen zur Straße hinunter. Das Seil entfiel meiner Hand. Ich sank mitsamt dem Narren kraftlos zu Boden und schloß die Augen.
»Hier. Trink einen Schluck Wasser.« Es war Krähes Stimme, und sie reichte mir einen Wasserschlauch, während Kettricken und Merle den Narren aus meinen Armen lösten. Ich trank; dann saß ich einfach nur da und versuchte, des Zitterns Herr zu werden, das mich nachträglich überfallen hatte. Alle Glieder taten mir weh, als hätte man mich geschlagen. Plötzlich fiel mir etwas ein. Ich stand taumelnd auf.
»Sechs Männer, und drei sind nach unten gegangen wie ich, hat er gesagt.«
Alle schauten mich an. Krähe flößte dem Narren Wasser ein, doch er sah noch immer mehr tot als lebendig aus. Sie preßte unmutig die Lippen zusammen. Ich wußte, was sie befürchtete; aber was der Wolf mir berichtet hatte, flößte mir größere Angst ein.
»Was meinst du damit?« fragte Kettricken mich behutsam, und ich begriff, daß sie glaubten, meine Gedanken wären wieder auf Wanderschaft gegangen.
»Nachtauge ist ihnen gefolgt. Sechs Männer auf Pferden, ein Packtier. Sie haben an unserem alten Lagerplatz haltgemacht. Und er sagt, drei von ihnen sind auf demselben Weg hinuntergegangen wie ich.«
»In die Stadt?« fragte Kettricken langsam.
In die Stadt, bestätigte Nachtauge. Es berührte mich eigenartig zu sehen, wie Kettricken daraufhin nickte.
»Wie kann das sein?« wollte Merle wissen. »Krähe hat uns doch gesagt, der Wegweiser hätte nur auf dich angesprochen, weil du in der Gabe ausgebildet bist. Auf uns hatte er keinerlei Einfluß.«
»Sie müssen Gabenkundige sein.« Krähe schaute mich fragend an.
Es gab nur eine mögliche Antwort. »Edels Kordiale«, sagte ich und schauderte. Übelkeit stieg in mir auf. Sie waren so furchtbar nahe, und sie verstanden sich so gut darauf, mir weh zu tun. Eine lähmende Angst vor Schmerzen überflutete mein Bewußtsein. Ich bäumte mich gegen die Panik auf, die von mir Besitz zu ergreifen drohte.
Kettricken drückte mir unbeholfen den Arm. »Fitz, auch sie werden Schwierigkeiten haben, diese Barriere zu überwinden. Mit dem Bogen kann ich sie einzeln unschädlich machen, während sie dort oben wehrlos sind.« Kettricken tröstete mich, sie, die Königin, erbot sich, den königlichen Assassinen zu beschützen. Die Ironie ihres Angebots half mir, die Beherrschung wiederzugewinnen, auch wenn ich wußte, daß Pfeil und Bogen uns nicht vor der Kordiale zu schützen vermochten.
»Sie brauchen nicht herzukommen, um mich angreifen zu können, oder Veritas.« Ich holte tief Atem und wurde plötzlich einer Frage gewahr, die sich aus meinen Worten ergab. »Sie müssen uns nicht
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