Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
zurückkehrte, wußte ich, daß ich recht hatte.
Nicht lange, und wir gelangten zu einer Stelle, wo ein schäumender Bach vor langer Zeit eine Brücke weggerissen und die Straße zu beiden Seiten unterspült hatte. Jetzt schlängelte er sich als unschuldiges silbernes Rinnsal durch ein steiniges Bett, aber die entwurzelten Bäume am Ufer ließen ahnen, mit welch verheerender Gewalt er bei Hochwasser einherbrauste. Ein Froschkonzert verstummte schlagartig bei unserem Herannahen. Von Stein zu Stein springend, gelangte ich trockenen Fußes auf die andere Seite. Wir waren noch nicht weit gegangen, als ein zweiter Bach unseren Weg kreuzte. Vor die Wahl gestellt zwischen nassen Füßen und nassen Stiefeln, entschied ich mich für ersteres. Das Wasser war eiskalt. Der einzige Vorteil der Kälte bestand darin, daß meine Füße gefühllos wurden, so daß ich die scharfkantigen Steine im Bachbett nicht spürte, und auf der anderen Seite angekommen, hatte ich die Genugtuung, in trockene Stiefel schlüpfen zu können. Unser kleiner Trupp hatte die Reihen geschlossen, sobald die Wegverhältnisse schlechter geworden waren, und nun marschierten wir schweigend miteinander weiter. Amseln sangen, und frühe Insekten summten.
»Soviel Leben hier«, bemerkte Kettricken leise. Ihre Worte schienen in der stillen, süßen Luft zu schweben. Ich nickte zustimmend. Soviel Leben ringsumher, sowohl pflanzlich als auch tierisch. Ich fühlte es mit allen Sinnen. Nach der kahlen Felsenwildnis und der verödeten Gabenstraße wirkte dieser Überfluß geradezu berauschend.
Dann erblickte ich den Drachen.
Ich blieb wie angewurzelt stehen und gebot mit seitlich ausgestreckten Armen Halt und Schweigen. Alle gehorchten und folgten meinem Blick. Merle schnappte nach Luft, und dem Wolf sträubten sich die Nackenhaare. Wir standen da und gafften, ebenso unbeweglich wie der Gegenstand unseres Erstaunens.
Golden und grün räkelte er sich im flimmernden Schatten der Bäume. Er lag soweit abseits des Pfades, daß ich zwischen den Stämmen hindurch nur Teile seines Leibes erspähen konnte, aber schon das war überwältigend. Der mächtige Schädel, groß wie ein Pferd, ruhte tief im weichen Moos. Das mir zugewandte Auge war geschlossen. Ein Kamm aus fedrigen Schuppen lag schlaff um seinen Hals. Ähnliche Büschel über dem Auge wirkten beinahe komisch, nur daß an einem Geschöpf, das so gewaltig und so wundersam war, nichts komisch anmutete. Ich sah eine schuppengepanzerte Schulter und zwischen zwei Bäume geschlängelt ein Stück des Schweifs. Welkes Laub war um den Drachen herum angehäuft wie eine Art Nest.
Nach einem langen, atemlosen Augenblick schauten wir uns gegenseitig an. Kettricken hob fragend die Augenbrauen. Ich zuckte die Schultern. Ich hatte keine Ahnung, welche Gefahren uns drohen mochten oder wie wir ihnen begegnen sollten. Sehr langsam und leise zog ich mein Schwert. Die blanke Klinge erschien mir plötzlich äußerst unzulänglich. Ebensogut konnte man einen Bären mit einem Tafelmesser angehen. Ich weiß nicht, wie lange wir so dastanden, ohne uns zu rühren; eine Ewigkeit, so kam es mir vor. Meine Glieder begannen zu schmerzen. Die Jeppas traten unruhig hin und her, blieben aber in der Reihe stehen, solange Kettricken das Leittier festhielt. Endlich gab sie ein unauffälliges Zeichen, und wir setzten uns langsam wieder in Bewegung.
Als das schlummernde Geschöpf nicht mehr zu sehen war, atmete ich wieder leichter; doch im selben Augenblick setzte die Reaktion auf die Anspannung ein. Meine Hand, die krampfhaft den Schwertgriff umklammerte, schmerzte, und meine Knie wurden weich. Ich strich mir das schweißfeuchte Haar aus dem Gesicht und wandte den Kopf, um einen erleichterten Blick mit dem Narren zu tauschen, doch er schaute ungläubig starr an mir vorbei. Ich drehte mich hastig herum. Wie Vögel im Schwärm vollzogen die anderen meine Bewegung mit. Wieder verharrten wir still und stumm und schauten auf einen weiteren schlafenden Drachen.
Dieser lag im tiefen Schatten von immergrünen Bäumen, wie der erste tief eingebettet in Moos und dürres Laub. Damit aber endete die Ähnlichkeit. Der lange Echsenschwanz wand sich um den Leib wie eine verschlungene Girlande, und die schuppige Haut glänzte in einem tiefen, kupfernen Braun. Ich konnte Flügel ausmachen, eng an den schlanken Leib gefaltet. Der lange Hals war auf den Rücken gebogen wie der einer schlafenden Gans, und die Form des Kopfes erinnerte ebenfalls an einen Vogel, sogar
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