Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
sagt er! Und ich liebe ihn!« Dann sprang er zu Boden und nahm unter wildem Gelächter Reißaus.
Ich strich mir mit beiden Händen in dumpfer Verzweiflung durchs Haar, kletterte langsam über den Stamm hinweg, verfolgt von Krähes Lachen und einem erbosten Wortschwall Merles. Wenn ich nur so schlau gewesen wäre, den Mund zu halten! Es war schlimm genug, daß Merle und ich seit der fatalen Flußüberquerung kaum mehr ein Wort miteinander gewechselt hatten. Ich hatte mich damit abgefunden, daß sie die Alte Macht als einen Makel empfand. Damit stand sie nicht allein, und wenigstens hatte sie versucht, etwas Verständnis aufzubringen. Nun aber hatte sie einen persönlichen Grund, auf mich schlecht zu sprechen zu sein. Wieder etwas verloren von dem Wenigen, das ich noch besaß. Ein Teil von mir vermißte schmerzlich die Verbundenheit, die in der ersten Zeit zwischen uns bestanden hatte. Ich vermißte die kleinen Gesten von Vertrauen und Zuneigung, daß sie zum Beispiel nachts Rücken an Rücken mit mir schlief oder plötzlich beim Gehen nach meinem Arm faßte. Ich dachte, ich hätte mein Herz gegen solche Bedürfnisse verhärtet, aber plötzlich fehlte mir das Gefühl menschlicher Nähe.
Und als hätte diese Überlegung eine Bresche in meine Mauern geschlagen, dachte ich unvermittelt an Molly und an Nessel – beide in Gefahr, meinetwegen. Unter dem Ansprung einer unsichtbaren Bedrohung schlug mir das Herz bis zum Hals. Nicht an sie denken, ermahnte ich mich und sagte mir wieder und wieder, daß es nichts gab, was ich tun konnte. Ich hatte keine Möglichkeit, ihnen eine Warnung zukommen zu lassen, keine Möglichkeit, bei ihnen zu sein, bevor Edels Handlanger sie erreichten. Mir blieb nichts anderes übrig, als auf Burrichs starken Arm zu vertrauen und mich an die Hoffnung zu klammern, daß Edel keine genauen Informationen über ihren Aufenthaltsort besaß.
Ich sprang über ein murmelndes Rinnsal und sah mich wieder mit dem Narren vereint, der am anderen Ufer auf mich gewartet hatte. Schweigend ging er neben mir her. Sein Übermut schien verflogen zu sein.
Auch ich wußte nicht genau, wo sich Mollys und Burrichs Zufluchtsort befand. Oh, ich kannte den Namen einer Ortschaft in der Nähe, doch solange ich den für mich behielt, waren sie in Sicherheit.
»Was du weißt, kann auch ich wissen.«
»Was hast du gesagt?« fragte ich den Narren. Seine Worte hatten so genau zu meinen Gedanken gepaßt, daß mir ein kalter Schauer über den Rücken lief.
»Ich sagte, was du weißt, kann auch ich wissen«, wiederholte er geistesabwesend.
»Warum?«
»Genau meine Meinung. Weshalb sollte ich wissen wollen, was du weißt?«
»Nein, ich meinte, weshalb hast du das gesagt?«
»Glaub mir, Fitz, ich habe nicht die geringste Ahnung. Die Worte kamen mir in den Sinn und schon waren sie heraus. Ich rede häufig, ohne nachzudenken.« Der letzte Satz hörte sich fast nach einer Entschuldigung an.
»Ich auch.« Mehr sagte ich nicht dazu, aber ich war beunruhigt. Seit dem Vorfall bei dem Pfeiler hatte er wieder viel mehr Ähnlichkeit mit dem Narren, an den ich mich aus Bocksburg erinnerte. Ich freute mich über sein wiedergewonnenes Selbstvertrauen und den neuen Schwung. Gleichzeitig fürchtete ich, er könnte zu fest darauf bauen, daß die Dinge sich entwickelten, wie sie sollten. Ich erinnerte mich auch, daß seine spitze Zunge mehr Konflikte zu schüren als beizulegen pflegte. Auch ich war von ihr nicht verschont geblieben, doch im Umfeld von König Listenreichs Hof hatte ich es nicht anders erwartet. Hier, in dieser kleinen Gemeinschaft, schien sie mehr Schaden anzurichten, und ich fragte mich, ob es vielleicht einen Weg gab, seinen bissigen Humor etwas zu mildern. Nein. Ich schüttelte den Kopf und rief mir die von Krähe gestellte, noch ungelöste Aufgabe ins Gedächtnis. Ich grübelte darüber nach, während ich mich durch dichtes Gestrüpp zwängte und tiefhängenden Ästen auswich.
Vom späten Nachmittag an führte uns unser Weg tiefer und tiefer in ein Tal hinein. An einer Stelle bot der Pfad einen Ausblick auf das, was vor uns lag. Ich erspähte die grün knospenden, schleppenden Zweige von Weiden und die rosig getönten Stämme von Papierbirken im hohen Gras eines Wiesengrunds. Weiter hinten lugten die braunen Kolben letztjähriger Binsen hervor. Das üppige Wuchern von Gräsern und Farnen deutete auf ein Sumpfgebiet hin, wie auch der Pflanzengeruch von stehendem Wasser. Als der Wolf mit nassen Beinen von seinem Streifzug
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