Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
Auch einige meiner Kleidungsstücke wusch ich aus, so gut es ging. Bei meiner Rückkehr ins Lager stellte ich fest, daß die anderen die gleiche Idee gehabt hatten. Krähe breitete verdrossen nasse Wäschestücke zum Trocknen über einen der Drachen. Kettrickens Wangen waren rosiger als sonst, und sie hatte ihr feuchtes Haar zu einem straffen Zopf geflochten.
Merle schien ihren Groll gegen mich vergessen zu haben, genauer gesagt, sie schien uns alle vergessen zu haben. Sie starrte in die Flammen des Lagerfeuers, einen abwesenden Ausdruck auf dem Gesicht, und ich konnte fast das Gewirr der Worte und Noten sehen, die sie zusammenfügte. Ich fragte mich, wie man diesen Prozeß empfinden mochte. Ob man es mit dem Lösen der Aufgaben vergleichen konnte, die Krähe mir stellte? Irgendwie war es merkwürdig, die Vagantin anzusehen und zu wissen, daß hinter ihrer Stirn ein Lied Gestalt annahm.
Nachtauge drückte seinen Kopf gegen mein Knie. Es behagt mir nicht, inmitten dieser lebendigen Steine zu lagern, bekannte er.
»Sie sehen aus, als könnten sie jeden Augenblick erwachen«, stimmte ich ihm zu.
Krähe hatte sich seufzend neben mir niedergelassen. Nachdenklich schüttelte sie den grauhaarigen Kopf. »Ich glaube kaum«, sagte sie leise. Es hörte sich fast traurig an.
»Nun, da wir ihr Rätsel nicht zu lösen vermögen und die Straße, oder was von ihr übrig ist, hier endet, kehren wir ihnen morgen den Rücken und setzen unsere Reise fort«, kündigte Kettricken an.
»Was wirst du tun«, fragte der Narr, »falls Veritas sich auch am nächsten Ort nicht befindet?«
»Ich weiß nicht«, antwortete Kettricken. »Und ich mache mir auch keine Gedanken darüber, bis es soweit ist. Ich habe noch eine Möglichkeit, und bis auch sie ausgeschöpft ist, werde ich nicht verzweifeln.«
Mir fiel auf, daß sie über unsere Suche wie über ein Spiel redete, in dem sie noch einen Trumpf im Ärmel hatte, der ihr vielleicht den Sieg brachte; aber vielleicht hatte ich mich nur zuviel mit Krähes Aufgaben beschäftigt. Ich kämmte einen letzten Knoten aus meinem Haar und band es zu einem Zopf zurück.
Laß uns jagen gehen, bevor es ganz dunkel geworden ist, drängte der Wolf.
»Ich glaube, ich werde heute mit Nachtauge jagen«, gab ich bekannt, stand auf und reckte mich. Ich warf dem Narren einen auffordernden Blick zu, doch er schien in Gedanken versunken zu sein und reagierte nicht. Als ich mich abwandte, fragte Kettricken: »Ist es klug, allein zu gehen?«
»Wir sind weit entfernt von der Gabenstraße. Dies war der friedlichste Tag, den ich seit langem erlebt habe – in gewisser Hinsicht jedenfalls.«
»Wir mögen weit von der Gabenstraße entfernt sein, doch wir befinden uns immer noch im Herzen eines Landes, das einst von Meistern der Gabe bewohnt wurde. Sie haben überall ihre Spuren hinterlassen. Während du durch diese Hügel wanderst, kannst du nicht behaupten, in Sicherheit zu sein. Du solltest nicht allein gehen.«
Nachtauge stieß ein kehliges Winseln aus. Er wurde ungeduldig. Ich sehnte mich danach, mit ihm durch die Wälder zu streifen, befreit von der Bürde, ein Mensch zu sein, doch Kettrickens Warnung war nicht auf die leichte Schulter zu nehmen.
»Ich gehe mit ihm«, erbot Merle sich plötzlich. Sie stand auf und wischte sich die Hände an den Hüften ab. Falls noch jemand außer mir überrascht war, ließ keiner es sich anmerken. Ich rechnete wenigstens mit einem spöttischen Abschiedsgruß des Narren, aber er starrte nur wie blind in eine unbestimmte Ferne. Ich hoffte, sein seltsames Benehmen war nicht das Anzeichen für einen Rückfall.
Stört es dich, wenn sie mitkommt? fragte ich Nachtauge.
Als Antwort stieß er ein ergebenes Schnaufen aus und trabte davon. Ich folgte ihm langsam, und Merle folgte mir.
»Sollten wir ihn nicht einholen?« fragte sie mich ein paar Minuten später. Der Wald und die hereinbrechende Dämmerung umschlossen uns. Nachtauge war nirgends zu entdecken, aber natürlich bestand für mich auch keine Notwendigkeit, ihn zu sehen.
Ich antwortete ihr mit gedämpfter Stimme. »Wenn wir gemeinsam jagen, halten wir Abstand. Sobald ein Wild aufspringt, können wir es uns gegenseitig zutreiben.«
Meine Augen hatten sich inzwischen an die Dunkelheit gewöhnt. Unser Weg führte in eine vom Menschen unberührte nächtliche Wildnis. Es roch nach Frühling, und die Luft war erfüllt vom Chor der Frösche und Insekten. Ziemlich bald entdeckte ich einen Wildwechsel und entschloß mich, ihm zu
Weitere Kostenlose Bücher