Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
Es sollte zuversichtlich klingen, als sie sagte: »Ja, das werden wir«, aber ich hörte nur trotzigen Mut aus ihrer Stimme heraus.
Mittlerweile hatte sich beim Abbrechen des Lagers jeder Handgriff eingespielt. Wir bewegten uns wie eine Einheit, fast wie ein einziges Wesen. Wie eine Kordiale, dachte ich bei mir.
Wie ein Rudel, korrigierte Nachtauge. Er kam und rieb seinen Kopf an meiner Hand. Ich unterbrach meine Arbeit, um ihn ausgiebig an Ohren und Kehle zu kraulen. Er schloß wohlig die Augen. Wenn dein Weibchen von dir verlangt, mich wegzuschicken, werde ich das sehr vermissen.
Keine Bange, dazu kommt es nicht.
Du glaubst, daß sie dich vor die Wahl stellen wird.
Ich will jetzt nicht darüber nachdenken.
Ah! Er ließ sich auf die Seite fallen und rollte sich dann auf den Rücken, damit ich auch sein Bauchfell zausen konnte. Dabei bleckte er die Zähne zu einem wölfischen Grinsen. Du lebst im Jetzt und willst nicht daran denken, was kommt. Doch ich, ich merke, daß ich kaum an etwas anderes denken kann als an das, was uns vielleicht bevorsteht. Diese letzte Zeit war gut für mich, mein Bruder. Mit anderen leben, gemeinsam jagen, gemeinsam fressen. Aber die Mondsängerin gestern nacht hatte recht. Welpen machen ein Rudel. Und dein Junges...
Ich kann jetzt nicht darüber nachdenken. Erst einmal ist es schwer genug, den heutigen Tag zu überleben, und dann muß noch soviel geschehen, bevor ich hoffen kann, nach Hause zurückzukehren.
»Fitz? Geht es dir gut?«
Es war Merle, die mich am Ellenbogen faßte und leicht schüttelte. Ich schaute sie an. Die Mondsängerin. Ich bemühte mich, ein Lächeln zu unterdrücken. »Keine Sorge. Ich war bei Nachtauge.«
»Oh.« Sie richtete den Blick auf den Wolf, und ich konnte an ihrem Mienenspiel erkennen, wie sie sich bemühte, das Band zwischen uns zu erfassen. Sie zuckte die Schultern. »Bereit zum Aufbruch?«
»Wenn alle anderen soweit sind.«
»Sieht danach aus.«
Merle ging, um Kettricken beim Beladen des letzten Jeppas zu helfen. Ich hielt Ausschau nach dem Narren und sah ihn still auf seinem Bündel sitzen. Seine Hand ruhte leicht auf einem der steinernen Drachen, und wie am Abend zuvor ging sein Blick in eine unbestimmte Ferne. Ich trat von hinten leise an ihn heran. »Alles in Ordnung?« fragte ich halblaut.
Er zuckte nicht zusammen. Ihm war nie eine Überraschung anzumerken. Er hob nur den Blick der fahlen Augen und sah zu mir auf. Auf seinem Gesicht malte sich eine hilflose Sehnsucht, der nichts von seinem gewöhnlich stets im Hintergrund lauernden beißenden Spott innewohnte. »Fitz, hast du je das Gefühl gehabt, dich an etwas zu erinnern, doch als du danach greifen wolltest, konntest du nichts finden?«
»Manchmal.« Ich nickte. »Das ist jedem schon so ergangen.«
»Nein. Was ich meine, ist anders«, widersprach er. »Seit ich gestern auf diesem Steinblock gestanden habe und plötzlich einen Blick in die versunkene Welt tat, verfolgen mich – Schatten von Erinnerungen. Wie er, zum Beispiel.« Er strich liebkosend über den dreieckigen Echsenschädel des Drachen. »Fast ist mir, als hätte ich ihn gekannt.« Plötzlich schaute er mich fast beschwörend an. »Was hast du gesehen, da hinten?«
Ich zuckte die Schultern. »Eine Art Marktplatz gesäumt von Krämerläden, Menschen, die handelten und feilschten. Ein geschäftiger Tag.«
»Hast du mich gesehen?« fragte er beinahe scheu.
»Ich weiß nicht genau.« Plötzlich war es mir unangenehm, darüber zu sprechen. »Wo du warst, stand jemand anders. Eine Frau. Sie war dir in mancher Hinsicht ähnlich. Sehr blaß, helle Augen und das Gebaren eines Schalksnarren. Du hast ihre Krone beschrieben, mit geschnitzten Hahnenköpfen und -federn.«
»Wirklich? Fitz, ich habe fast alles vergessen. Ich erinnere mich nur an das Gefühl und daran, wie schnell es verblaßte. Für einen kurzen Augenblick fühlte ich mich der ganzen Welt verbunden. Als Teil eines Ganzen. Es war herrlich, wie das Erwachen von Liebe oder ein Blick auf vollkommene Schönheit oder...« Er rang nach Worten.
»So ist die Gabe«, erklärte ich ihm behutsam. »Du hast ihre Lockung verspürt. Sie ist die große Gefahr für jeden Gabenkundigen, gegen die er sich abschirmen muß, um nicht davongetragen zu werden.«
»Dann habe ich also die Gabe kennengelernt«, sagte er vor sich hin.
»Als du zu dir kamst, warst du euphorisch. Du hast etwas von einem Drachen erzählt, den du vorstellen wolltest. Ziemlich wirres Zeug. Laß mich überlegen
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