Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
wir daran denken konnten zu essen. Mir stand heute nacht der Sinn nach leichter Beute. Es kostete mich jedoch einige Überredung, Nachtauge zu meiner Meinung zu bekehren. Wenn wir nichts anderes finden, können wir zurückkommen. Es wird bis dahin nicht verschwunden sein. Sie sind zu Fuß nicht eben besonders schnell, erklärte ich ihm.
Widerwillig gab er nach, und wir schwärmten wieder aus. Auf einer grasbewachsenen, noch sonnenwarmen Hügelflanke erspähte Nachtauge das Zucken eines Ohres und ein spiegelndes Auge. Mit zwei Sätzen hatte er das Kaninchen gepackt. Ein zweites sprang aus dem Gras und flüchtete zum Kamm des Hügels. Ich jagte hinterher. Gleichzeitig hörte ich den Narren rufen, er wolle jetzt umkehren. Sehr bald merkte ich, daß die Hatz zugunsten des Kaninchens ausgehen würde. Ich war müde von einem langen Marsch, und das Tierchen rannte um sein Leben. Als ich oben anlangte, war es nirgends mehr zu sehen. Der Nachtwind strich sacht durch die Bäume. Er trug eine Witterung heran, fremd und dennoch vertraut. Ich wußte sie nicht einzuordnen, aber der Geruch löste eine Reihe unangenehmer Gefühle aus. Während ich ihn prüfend einsaugte und das Rätsel zu lösen versuchte, tauchte Nachtauge neben mir auf.
Mach dich klein! befahl er.
Sofort sank ich in die Hocke und spähte nach einer Gefahr aus.
Nein. Mach dich klein im Geiste.
Diesmal begriff ich, was er meinte und zog in panischer Hast meine Schutzwehren in die Höhe. Seine scharfe Nase hatte ohne Mühe in dem leichten Hauch in der Luft den Geruch von Burls Kleidung in den Satteltaschen wiedererkannt. Ich duckte mich so tief wie nur möglich, und während ich meine Barrikaden errichtete und verstärkte, haderte ich mit dem Gesetz der Wahrscheinlichkeit, nach dem es so gut wie unmöglich war, daß er sich hier befand.
Angst kann außerordentlich beflügelnd auf das Denkvermögen wirken. Schlagartig wurde mir klar, was ich längst hätte erkennen müssen. Der Kreuzweg mit dem schwarzen Pfeiler befand sich ganz in der Nähe. Die eingemeißelten Symbole zeigten nicht nur an, wohin die Straßen führten; sie verrieten auch, an welchen Ort man sich mittels des Wegweisers versetzen lassen konnte. Von jedem Pfeiler konnte man sich zum nächsten transportieren lassen. Von der Ruinenstadt war es nur ein Schritt bis zu jedem auf der Reliefkarte mit einem Kristall markierten Punkt. Die ganze Kordiale war vielleicht in diesem Augenblick nur wenige Schritte von mir entfernt.
Nein. Es ist nur dieser eine, und er ist noch ziemlich weit entfernt. Gebrauche deine Nase, wenn schon nicht deinen Verstand, beruhigte Nachtauge mich ironisch. Soll ich ihn für dich töten?
Ja, bitte. Aber paß auf dich auf.
Nachtauge verlieh mit einem leisen Schnauben seiner Geringschätzung Ausdruck. Er ist fetter als das wilde Schwein, das ich gerissen habe. Nur vom Gehen auf dem Pfad pustet er und schwitzt. Warte hier, kleiner Bruder, während ich mich seiner annehme. Lautlos wie der Tod verschwand er zwischen den Bäumen.
Ich wartete eine Ewigkeit: auf ein Knurren, einen Schrei, die Geräusche von jemandem, der durch das Unterholz bricht. Nichts. Alles blieb still. Ich blähte die Nasenflügel, konnte jedoch keine Spur der schwachen Witterung mehr wahrnehmen. Plötzlich hielt es mich nicht mehr an meinem Platz. Ich erhob mich und folgte dem Wolf, ebenso tödlich lautlos wie er. Vorhin, auf der Pirsch, hatte ich nicht besonders darauf geachtet, in welche Richtung wir gingen. Jetzt bemerkte ich, daß wir ganz in die Nähe des Kreuzwegs geraten waren. Unser Lager befand sich viel weniger weit entfernt davon als gedacht.
Wie eine ferne Melodie machte sich plötzlich die Emanation der Gabe bemerkbar. Ich blieb stehen und rührte mich nicht. Auch meinem Bewußtsein erlegte ich Stillschweigen auf und ließ die Gabe an meinen Sinnen vorbeistreichen, ohne zu reagieren.
Ich bin ihm ganz nahe. Burl, atemlos vor Erregung und Furcht. Ich konnte ihn spüren, lauernd, wartend. Ich fühle ihn. Er kommt näher. Eine Pause. Oh, dieser Ort gefällt mir nicht. Er gefällt mir ganz und gar nicht.
Ganz ruhig. Eine Berührung, mehr ist nicht nötig. Berühre ihn, wie ich es dir gezeigt habe, und seine Mauern werden fallen. Will sprach, der Meister zu seinem Lehrling.
Und wenn er ein Messer hat?
Er wird keine Zeit haben, es zu benutzen. Glaub mir. Seine Mauern können dieser Berührung nicht standhalten. Du brauchst nichts weiter tun, als ihn zu berühren. Dann komme ich und übernehme den
Weitere Kostenlose Bücher