Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen

Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen

Titel: Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
Vom Netzwerk:
Bratengeruch lief mir das Wasser im Mund zusammen.
    »Habt ihr euch sehr gestritten, der Narr und du?« erkundigte Merle sich zu meiner Überraschung.
    »Wie bitte?« Ich schaute über die Schulter zu ihr hin.
    »Während dieser langen Reise hatte ich Gelegenheit zu beobachten, wie ihr zueinander steht. Ihr seid euch näher als Brüder. Ich hätte gedacht, du würdest neben ihm sitzen und dich sorgen, wie du es während seiner Krankheit getan hast. Aber du benimmst dich, als fehle ihm gar nichts.«
    Vaganten haben möglicherweise einen zu scharfen Blick. Ich strich mir das Haar aus dem Gesicht und überlegte. »Vorhin ist er zu mir gekommen, und wir haben uns unterhalten. Darüber, was er tun würde, für Molly, falls ich – falls es mir nicht bestimmt ist, am Leben zu bleiben.« Ich schüttelte den Kopf und mußte mich räuspern, weil mir die Stimme zu versagen drohte. »Er denkt nicht, daß ich dieses Abenteuer lebend überstehen werde. Und wenn ein Prophet so etwas sagt, ist es schwer, das Gegenteil zu glauben.«
    Merles betroffene Miene nahm ihren tröstend gemeinten Worten jede Überzeugungskraft, als sie sagte: »Propheten müssen nicht immer recht behalten. Hat er dir rundheraus gesagt, er hätte deinen Tod gesehen?«
    »Als ich ihn gefragt habe, wollte er nicht antworten.«
    »Er hätte überhaupt nicht davon sprechen dürfen«, ereiferte sie sich. »Wie kann man erwarten, daß du den Mut findest, deine Aufgabe zu erfüllen, wenn du glaubst, daß es dein Tod sein wird?«
    Ich zuckte stumm die Schultern. Während der Jagd hatte ich mich geweigert, daran zu denken, doch statt abzuklingen, waren die Gefühle nur noch stärker geworden. Die Schwermut und der Zorn. Ja, Zorn. Ich war zornig auf den Narren, weil er mir gesagt hatte, ich würde sterben, und gleichzeitig wußte ich, daß meine Erbitterung ungerecht war. »Er trägt keine Schuld an den Prophezeiungen, und seine Absicht ist lobenswert. Doch es ist schwer, sich mit dem eigenen Tod abzufinden, nicht als Ereignis irgendwann in ferner Zukunft, sondern als etwas, das wahrscheinlich eintreten wird, bevor dieser Sommer zu Ende ist.«
    Ich schaute mich um. Ich sah den Abendnebel über der Wiese und die Bäume, die in der tiefer werdenden Dämmerung zu träumen schienen. Vereinzelte Vogelrufe, fremd und klagend über dem erwachenden Chor der nächtlichen Stimmen, das lautlose Huschen von Fledermäusen. Der Duft des bratenden Fleisches, der kräftige Geruch, der von der Erde aufstieg, die prickelnde, süße Kühle der Nachtluft: Alles erschien mir plötzlich kostbar und einzigartig. Unwiderbringlich. Vor langer Zeit, in Bocksburg, hatte der Narr mir geraten, ich solle jeden Tag leben, als wäre er von allergrößter Bedeutung, als hinge jeden Tag das Schicksal der Welt von meinen Handlungen ab. In diesem Augenblick begriff ich erst, was er versucht hatte, mir damals zu sagen – jetzt, da die Tage, die mir noch blieben, so beschnitten waren, daß ich sie zählen konnte.
    Merle legte beide Hände auf meine Schultern, bückte sich und drückte ihre Wange an mein Gesicht. »Fitz, es tut mir so leid«, sagte sie leise. Ich hörte ihre Worte kaum, nur ihren Glauben an meinen Tod. Durch einen Tränenschleier starrte ich auf den Braten am Spieß über den Flammen. Vor nicht allzu langer Zeit war dieses Stück Fleisch noch ein springlebendiges Zicklein gewesen.
    Der Tod lauert immer an der Grenze des Jetzt. Nachtauges Gedankenstimme war sanft. Er ist der große Jäger, der unseren Schritten folgt, und ihm entkommt kein Wild. Man denkt nicht ständig daran, doch wir alle wissen es, eingeschrieben in unser Herz und in das Mark unserer Knochen. Wir alle, außer dem Menschen.
    Mit schmerzlicher Klarheit offenbarte sich mir der Sinn dessen, was der Narr mir über das Wesen der Zeit zu erklären versucht hatte. Wie sehr ich mir wünschte, ich könnte zurückgehen und jeden einzelnen Tag noch einmal erleben. Zeit. Ich war ihr Gefangener, eingepfercht in mein winziges Stück Gegenwart, das ich als einziges zu beeinflussen vermochte. All die Pläne für ›bald‹ und ›morgen‹ waren Illusionen, Luftschlösser, die jeden Augenblick verwehen konnten wie Rauch im Wind. Absichten waren eitel. Nur über das Jetzt hatte ich Macht. Ich stand auf.
    »Ich verstehe. Er mußte es mir sagen, um mir die Augen zu öffnen. Ich muß aufhören, so zu handeln, als gäbe es ein Morgen, um die Dinge ins Lot zu bringen. Alles muß jetzt getan werden, auf der Stelle, ohne einen Gedanken an die

Weitere Kostenlose Bücher