Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
Barbaren für eine so große Stadt wie Fierant dar? Die Stadtwache wurde in Alarmbereitschaft versetzt, etliche Kaufleute am Hafen trafen Vorkehrungen, ihre Waren aus Lagerschuppen dicht am Wasser wegzuschaffen, aber die allgemeine Haltung war, falls es den Korsaren wirklich gelang, so weit flußaufwärts vorzudringen, würden Bogenschützen mit den Piraten kurzen Prozeß machen, bevor sie größeren Schaden anrichten konnten. Man vermutete, daß die Schiffe kamen, um mit dem König der Sechs Provinzen eine Art Waffenstillstand auszuhandeln. Es wurde diskutiert, wieviel von den Küstenprovinzen man sich bereitfinden könnte an sie abzutreten, und ob es vom Profit her interessant wäre, erneut Handelsbeziehungen zu den Äußeren Provinzen aufzunehmen. Ganz zu schweigen davon, daß man sich die Hände rieb, weil endlich der Warenverkehr auf dem Bocksfluß wieder in Gang kommen würde.
Dies nur als ein weiteres Beispiel für die Fehleinschätzungen, zu denen es kommt, wenn man zu wissen glaubt, worauf der Feind es abgesehen hat und gemäß dieser Voraussetzung handelt. Die Bürger von Fierant unterstellten den Roten Korsaren denselben Wunsch nach Reichtum und Besitz, von dem ihr eigenes Denken und Handeln bestimmt wurde. Bei ihrer Beurteilung der Gefahr durch die Piraten dieses Motiv zugrunde zu legen war ein tragischer Irrtum.
Ich glaube nicht, daß Kettricken sich bewußt gemacht hatte, daß Veritas sterben mußte, damit der Drache sich erheben konnte. Jedenfalls nicht bis zu dem Augenblick, als er sie zum Abschied küßte. Er küßte sie mit größter Vorsicht, Arme und Hände weit von sich gestreckt, den Kopf zur Seite gelegt, damit kein silberner Fleck ihr Gesicht berührte. Trotz alledem war es ein zärtlicher Kuß, ein hungriger Kuß und ein langer Kuß. Noch für einen letzten Augenblick klammerte sie sich an ihn. Dann sagte er leise etwas zu ihr. Sofort legte sie beide Hände auf ihren Leib. »Was macht dich so sicher?« fragte sie, während Tränen aus ihren Augen stürzten.
»Ich weiß es«, sagte er fest. »Und deshalb muß meine erste Pflicht sein, dich nach Jhaampe zu bringen. Du darfst nicht wieder Gefahren und Strapazen ausgesetzt sein.«
»Mein Platz ist in Bocksburg«, wandte sie ein. Ich erwartete, daß er widersprach, aber: »Du hast recht. So sei es. Dorthin werde ich dich tragen. Leb wohl, mein Herz.«
Kettricken gab keine Antwort. Als Veritas sich von ihr abwandte und ging, schaute sie ihm mit einer Miene grüblerischer Verständnislosigkeit nach.
Ungeachtet all der Tage, die wir damit verbracht hatten, auf dieses Ziel hinzuarbeiten, wirkte zu guter Letzt alles überhastet und zerfahren. Krähe wanderte neben dem Drachen auf und ab. Sie hatte sich beiläufig von uns allen verabschiedet, als wäre sie schon nicht mehr ganz von dieser Welt. Nun hatte sie nur noch Augen und Gedanken für den Drachen und ließ nicht mehr von ihm ab. Sie tändelte im Vorbeigehen mit der Hand über seine Flanken, strich mit den Fingerspitzen über die Schuppen. Farbe leuchtete im Gefolge ihrer Berührung und verblaßte dahinter langsam wieder.
Veritas ließ sich mehr Zeit. Er war uns beim Abschied näher als in den Wochen davor. Zu Merle sagte er: »Es wäre schön, wenn du meiner Gemahlin eine Freundin sein könntest. Sing deine Lieder wahr und gut und lasse keinen Menschen jemals daran zweifeln, daß das Kind, welches sie unter dem Herzen trägt, der Sproß meiner Lenden ist. Dies ist die Pflicht, die ich dir auferlege, Vagantin.«
»Ich werde mein Bestes tun, Majestät«, erwiderte Merle ernst. Sie ging hin und stellte sich neben Kettricken, denn sie sollte mit der Königin auf dem breiten Rücken des Drachen reiten. Ich sah, wie sie die feuchten Handflächen am Saum ihres Obergewands abwischte und sich immer wieder vergewisserte, daß der Packen mit ihrer Harfe fest und sicher auf ihrem Rücken hing. Sie schenkte mir ein zittriges Lächeln. Mehr Abschied als das brauchten wir nicht.
Mein Entschluß zurückzubleiben, hatte einiges Aufheben verursacht. »Edels Truppen kommen mit jeder Minute näher«, sagte Veritas mir jetzt noch einmal.
»Dann solltet Ihr eilen, damit ich nicht mehr in diesem Steinbruch bin, wenn sie eintreffen«, entgegnete ich.
Er runzelte die Stirn. »Falls ich Soldaten auf der Straße sichte, werde ich dafür sorgen, daß sie nicht bis hierher gelangen.«
»Ihr dürft die Königin nicht in Gefahr bringen«, erinnerte ich ihn.
Nachtauge lieferte mir den Vorwand zu bleiben. Er
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