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Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen

Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen

Titel: Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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seinen Pranken kerbten tiefe Furchen in den Stein des Sockels. Plötzlich entfalteten sich rauschend seine gewaltigen Schwingen, wie vom Wind geblähte Segel. Er schüttelte sie, ein Falke, der sein Gefieder ordnet, und faltete sie wieder glatt an den Körper. Sein Schweif schlug einmal peitschend hin und her und fegte Staub und Grus in die Luft. Der Schädel wandte sich in unsere Richtung. Die Augen verlangten, daß wir ebenso angetan von seiner neuen Gestalt sein möchten wie er.
    Veritas-als-Drache setzte sich in Bewegung, um vor seine Königin hinzutreten. Gegenüber dem Haupt, das sich zu ihr niedersenkte, erschien sie zwergenhaft; ich sah ihr ganzes Spiegelbild in einem einzigen glänzenden schwarzen Auge. Dann senkte der Drache eine Schulter als Einladung aufzusteigen.
    Einen Augenblick lang war Kettrickens Gesicht nackt, das Gesicht einer Frau, die um ihren Gatten trauert; dann atmete sie tief ein, und aus der Frau wurde die Königin. Furchtlos trat sie vor und legte eine Hand auf Veritas’ schimmernde blaue Schulter. Die Schuppen waren glatt wie Glas. Kettricken hatte Mühe, auf Veritas’ Rücken zu klimmen und sich dann weiter nach vorn zu schieben, um auf seinem Nacken Platz zu nehmen. Merle warf mir einen Blick zu, der Schrecken und Staunen ausdrückte, doch sie folgte der Königin, wenn auch etwas weniger zuversichtlich. Sie setzte sich hinter Kettricken und überzeugte sich noch einmal, daß ihre Harfe sicher befestigt war.
    Kettricken hob den Arm zu einem Abschiedsgruß. Sie rief etwas, aber die Worte gingen im Luftzug der sich öffnenden Schwingen des Drachen unter. Er bewegte sie auf und nieder, ein–, zwei–, dreimal, wie um sich daran zu gewöhnen. Staub und Steine flogen mir stechend ins Gesicht, Nachtauge drückte sich eng an mein Bein. Der Drache kauerte sich nieder wie ein Raubtier zum Sprung. Die ausgepannten türkisfarbenen Schwingen peitschten noch einmal auf und ab, und unvermittelt schnellte er sich in die Luft. Erst schien es nicht gelingen zu wollen, sein Flug war unstet, und nur mühsam gewann er an Höhe. Ich sah, wie Merle sich verzweifelt an Kettricken klammerte, doch Kettricken beugte sich auf den Nacken des Drachen und spornte ihn mit lauten Rufen an. Endlich schien er sich von den Fesseln der Erde gelöst zu haben, stieg höher empor und kreiste über den Hügeln und Wäldern außerhalb des Steinbruchs. Wir beobachteten, wie er sich tiefer sinken ließ, um die Gabenstraße zu inspizieren, dann stieg er mit gleichmäßigen, kraftvollen Flügelschlägen immer höher in den Himmel hinauf. Sein Bauch war bläulichweiß wie bei einer Eidechse. Ich mußte die Augen zusammenkneifen, um ihn gegen die Helligkeit sehen zu können. Dann war er fort, flog wie ein blausilberner Pfeil davon in Richtung der Marken. Noch als er längst nicht mehr zu sehen war, schaute ich ihm hinterher.
    Endlich stieß ich den angehaltenen Atem aus. Ich zitterte. Ich wischte mir mit dem Ärmel über die Augen und schaute mich nach dem Narren um, der verschwunden war.
    »Nachtauge! Wo ist der Narr?«
    Wir wissen beide, wohin er gegangen ist. Kein Grund zu schreien.
    Er hatte recht. Trotzdem konnte ich mich eines bangen Gefühls nicht erwehren. Ich lief den Schutthang hinunter und ließ das leere Postament hinter mir. »Narr?« rief ich, als ich zu unserer Jurte kam. Ich blieb sogar stehen, um hineinzuschauen, ob er vielleicht seine Sachen zusammenpackte. Eine törichte Hoffnung.
    Nachtauge hatte keine Zeit vergeudet. Als ich bei der Drachenreiterin anlangte, saß er bereits geduldig am Fuß des Sockels und schaute zu dem Narren hinauf. Ich ging langsamer, als ich ihn sah, und meine böse Ahnung verflog. Der Narr saß auf dem Rand des Sockels, ließ die Beine baumeln und hatte den Kopf gegen das Bein des Drachen gelehnt. Ich ging zu ihm hin. Sehnsüchtig hatte er den Blick zum Himmel erhoben. Vor dem Hintergrund der tiefgrünen Schuppen des Drachen war die Haut des Narren nicht länger weiß, sondern blaßgolden überhaucht. Sogar das seidenfeine Haar besaß einen lohfarbenen Schimmer. Die Augen, die er mir zuwandte, waren aus durchscheinendem Topas. Sehr langsam schüttelte er den Kopf, doch erst als ich mich an den Sockel lehnte, sprach er.
    »Ich hatte gehofft. Ich konnte nicht anders als hoffen. Doch heute habe ich gesehen, wessen es bedarf, damit ein Drache sich erhebt.« Wieder schüttelte er den Kopf, diesmal heftiger. »Und selbst wenn ich die Gabe hätte, um ihr das geben zu können, ich habe es nicht

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