Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
hatte nicht den Wunsch, auf einem Drachen zu reiten, und ich wollte ihn nicht verlassen. Ich bin sicher, Veritas kannte den wahren Grund. Schon vor längerer Zeit hatte ich beschlossen, daß es für mich nicht gut wäre, nach Bocksburg zurückzukehren. Merle hatte mir das Versprechen geben müssen, mich in ihren Liedern nicht zu erwähnen. Es war nicht leicht gewesen, einer Vagantin eine solche Zusage abzuringen, aber ich hatte dennoch darauf bestanden. Weder Molly noch Burrich sollten je erfahren, daß ich noch lebte. »In dieser Sache, lieber Freund, bist du wahrlich Opfer gewesen«, hatte Kettricken zu mir gesagt. Ein größeres Lob aus ihrem Mund konnte es nicht geben. Ich wußte, mit keinem Wort würde sie mich je verraten.
Der Narr erwies sich als obstinat. Wir alle drängten ihn, mit der Königin und Merle mitzufliegen. Er weigerte sich beharrlich. »Der Weiße Prophet wird bei dem Katalysator bleiben«, war alles, was er sagte. Insgeheim glaubte ich, es handelte sich eher um einen Narren, der bei Mädchen-auf-einem-Drachen bleiben wollte Er war besessen von ihr, und das machte mir angst. Als ich ihm unter vier Augen sagte, er würde sie verlassen müssen bevor Edels Truppen den Steinbruch erreichten, hatte er zwar genickt, aber mit geistesabwesender Miene. Ich war sicher daß er eigene Pläne hatte.
Es kam der Augenblick, in dem es für Veritas keinen Grund mehr gab, noch länger zu verweilen. Wir hatten wenig zueinander gesagt, doch was gab es auch zu sagen? Alles, was geschehen war, erschien mir im nachhinein unvermeidlich. Es verhielt sich so, wie der Narr gesagt hatte: Rückblickend konnte ich sehen, wo seine Prophezeiungen uns vor langer Zeit auf diesen Weg geführt hatten. Keiner hatte Schuld. Keiner war schuldlos.
Veritas nickte mir zu, bevor er sich abwandte und zu seinem Drachen ging. Auf halbem Weg verhielt er plötzlich den Schritt und drehte sich noch einmal um. Während er auf mich zukam, nahm er seinen zernarbten Schwertgurt ab und wickelte ihn lose um die Scheide.
»Nimm mein Schwert«, sagte er. »Ich werde es nicht brauchen. Und wie es aussieht, hast du das eine verloren, das ich dir geschenkt habe.«
Schon wieder zum Gehen gewandt, zögerte er kurz und zog mit einer raschen Bewegung das Schwert aus der Scheide. Ein letztes Mal strich er mit einer silbernen Hand an der Klinge entlang, und unter seiner Berührung erstrahlte sie in neuem Glanz. Seine Stimme klang schroff, als er sagte: »Es verriete wenig Achtung vor Meisterin Hods Kunst, eins ihrer besten Stücke schartig und stumpf weiterzugeben. Achte besser darauf, als ich es getan habe, Fitz.« Er schob es zurück in die Scheide, die ich in Händen hielt, und dabei sah er mir in die Augen. »Und achte besser auf dich, als ich es getan habe. Ich habe dich geliebt, sollst du wissen. Trotz allem, was ich dir zugemutet habe, habe ich dich geliebt.«
Erst wußte ich keine Antwort darauf. Dann, als er seinen Drachen erreichte und die Hände auf dessen Stirn legte, dachte ich zu ihm: Ich habe nie daran gezweifelt, und Ihr zweifelt nicht daran, daß ich Euch liebte.
Nie werde ich vergessen, wie er mir noch einmal über die Schulter zulächelte. Sein letzter Blick galt seiner Königin. Er preßte die Hände fest an den gemeißelten Kopf des Drachen und schaute sie an, als er von uns ging. Einen Augenblick lang roch ich den Duft von Kettrickens Haut, schmeckte ihre Lippen, fühlte die seidige Wärme ihrer nackten Schultern in meinen Händen. Dann war die flüchtige Erinnerung dahin, und dahin waren auch Veritas und Krähe. Für meine Alte Macht und die Gabe verschwanden sie so vollständig, als wären sie entfremdet worden. Zwischen einem Lidschlag und dem nächsten sah ich Veritas’ entseelten Körper, dann verschmolz er mit dem Drachen. Krähe hatte an der Schulter des Steinbildnisses gelehnt. Sie verging schneller als Veritas, löste sich auf in Türkis und Silber – Farbe, die über den Schuppenpanzer der gigantischen Kreatur flutete und sie umhüllte. Niemand wagte zu atmen. Nur Nachtauge stieß einen langgezogenen, hohen Laut aus. Ich hörte Kettricken kurz schluchzen.
Dann, mit dem Fauchen eines ungeheuren Blasebalgs, sog der steinerne Drache Atem in seine Lungen. Er öffnete die Augen, und sie waren schwarz und glänzend, die Augen eines Weitsehers; ich wußte, Veritas schaute aus ihnen. Er hob das mächtige Haupt auf dem gebogenen Hals und reckte und streckte prüfend die noch unvertrauten, mächtigen Glieder. Die Krallen an
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