Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
In mancher Beziehung kenne ich ihn sehr gut, in anderer wird er mir immer fremd bleiben.«
Ich nickte stumm. Das Schweigen dauerte eine Weile, dann veränderte es sich kaum merklich. »Um ehrlich zu sein«, sagte Merle zögernd, »der Narr hat vorgeschlagen, daß ich zu dir gehe.«
Ich stöhnte auf. Was hatte er ihr alles erzählt?
»Es hat mir leid getan, das von Molly zu hören...«, begann sie.
»... aber es hat dich nicht überrascht«, beendete ich den Satz für sie. Ich legte mir den angewinkelten Arm über die Augen, um sie gegen die Sonne abzuschirmen.
»Nein. Nicht überrascht.« Sie suchte nach passenden Worten. »Wenigstens weißt du, daß sie sicher ist und geborgen.«
Ja, und ich schämte mich, daß ich nicht froh und dankbar dafür war. Meinen Kummer in den Drachen zu geben, hatte in der Weise geholfen, wie es hilft, ein vom Wundbrand befallenes Glied zu amputieren. Es los zu sein ist nicht gleichbedeutend mit Heilung. Die leere Stelle in meinem Innern juckte. Vielleicht wollte ich Schmerzen empfinden. Ich beobachtete Merle aus dem Schatten meines Arms heraus.
»Fitz«, sagte sie mit ruhiger Stimme, »ich habe dich einmal gebeten, daß wir beieinander liegen. In Freundschaft und Zärtlichkeit, um eine Erinnerung auszulöschen.« Sie schaute mich nicht an, sondern beobachtete das glitzernde Sonnenlicht auf dem Wasser. »Nun mache ich dir erneut dieses Angebot.«
»Aber ich liebe dich nicht«, entfuhr es mir. Im selben Augenblick wurde mir bewußt, daß ich nichts Dümmeres hätte sagen können.
Merle seufzte und legte die Harfe beiseite. »Ich weiß das. Du weißt das. Aber man hätte es nicht ausgerechnet jetzt aussprechen müssen.«
»Das habe ich gemerkt. Leider zu spät.. Ich wollte nur keine Lügen, ausgesprochen oder unausgesprochen...«
Sie beugte sich vor und verschloß mir den Mund mit einem Kuß. Irgendwann hob sie den Kopf ein wenig. »Ich bin eine Vagantin. Ich verstehe mehr von der Kunst des Lügens, als du jemals lernen wirst. Und wir Vaganten wissen, daß Lügen manchmal genau das sind, was man am allernötigsten braucht, um neue Wahrheiten daraus zu erschaffen.«
»Merle...«
»Du weißt genau, daß du wieder etwas Falsches sagen wirst. Weshalb hörst du nicht einfach auf zu reden? Mach die Dinge nicht komplizierter als sie sind. Hör auf zu denken, nur für ein Weilchen.«
Es wurde dann etwas mehr als ein Weilchen.
Als ich wieder erwachte, lag Merle noch warm an meine Seite geschmiegt. Nachtauge stand neben uns. Er hechelte in der Hitze des Tages. Ein warmer Speicheltropfen fiel auf meinen Arm.
»Geh weg.«
Die anderen rufen dich und suchen nach dir. Er legte schelmisch den Kopf zur Seite. Ich konnte Kettricken zeigen, wo sie dich findet.
Ich setzte mich hin und zerquetschte drei Stechmücken auf meiner Brust. Sie hinterließen blutige Flecken. Ich griff nach meinem Hemd. Droht Gefahr?
Nein. Sie sind bereit, den Drachen zu wecken. Veritas möchte dir Lebewohl sagen.
Ich schüttelte Merle sacht an der Schulter. »Gib dir einen Ruck, oder du erlebst nicht mit, wie Veritas den Drachen weckt.«
Sie regte sich träge. »Das ist ein Grund. Für weniger würde ich mich um nichts in der Welt erheben. Außerdem, es ist womöglich meine letzte Gelegenheit für ein großes Lied. Das Schicksal hat mir bestimmt, regelmäßig woanders zu sein, wenn du etwas Bemerkenswertes tust.«
Ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen. »So, so. Demnach wird es keine Lieder geben über Chivalrics Bastard?« neckte ich sie.
»Eins vielleicht. Ein Liebeslied.« Sie schenkte mir ein letztes wissendes Lächeln. »Der Teil zumindest war bemerkenswert.«
Ich stand auf und zog sie mit. Ich küßte sie. Nachtauge winselte ungeduldig, und Merle drehte sich in meinen Armen rasch zu ihm herum. Er streckte sich und verbeugte sich dabei tief vor ihr. Als sie sich wieder mir zuwandte, waren ihre Augen groß.
»Ich habe dich gewarnt«, sagte ich.
Sie lachte nur und bückte sich, um unsere Kleider aufzuheben.
Kapitel 39
Veritas’ Drache
Truppen der Streitkräfte der Sechs Provinzen schifften sich in Blauer See zum Westufer ein, um von dort zur Grenze des Bergreichs zu marschieren, genau in den Tagen, als die Roten Schiffe den Vinfluß hinauffuhren und sich Fierant näherten. Fierant war nie eine befestigte Stadt gewesen. Obwohl die Nachricht von ihrem Kommen ihnen vorauseilte, ließ man sich davon nicht aus der Ruhe bringen. Welche Bedrohung stellten zwölf Boote mit einer Besatzung von
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