Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
erhöhten Punkt, der trotzdem Deckung bot; ich rollte mich müde zusammen, schloß die Augen, und dann lag ich wach, gepeinigt von der Schärfe meiner Sinne. Jedes Geräusch, jede Witterung riß mich aus dem ersehnten Vergessen, und ich fand keine Ruhe mehr, bis ich aufgestanden war und mich überzeugt hatte, daß keine Gefahr drohte. Bald beschwerte sogar Nachtauge sich über meine Unrast. Wenn ich endlich einschlief, fuhr ich in Abständen hoch, schweißgebadet und zitternd. Der Mangel an Schlaf bei Tage machte mich während der Nachtmärsche zu einem unlustigen Weggefährten.
Dennoch waren diese schlaflosen Stunden sowie die Stunden, wenn ich mit pochenden Schläfen hinter Nachtauge Meile um Meile zurücklegte, keine vergeudete Zeit, sondern der Nährboden für meinen Haß auf Edel und seine Kordiale. Ich schmiedete diesen Haß zu einer scharfen Waffe. Was hatte er aus mir gemacht! Nicht genug damit, daß er mir mein Leben gestohlen hatte und meine Liebste; nicht genug damit, daß ich gezwungen war, Menschen und Orte zu meiden, die mir am Herzen lagen; nicht genug die Narben, die ich trug, die unberechenbaren Zuckungen, die mich überfielen! Nein. Durch ihn war ich dieses Wrack, dieser bibbernde, ängstliche Hasenfuß von einem Mann geworden. Ich konnte nicht einmal ertragen, mir ins Gedächtnis zu rufen, was er mir alles angetan hatte, doch ich wußte, auf die Probe gestellt, würden diese Erinnerungen ihr furchtbares Haupt erheben und mich in einen wimmernden Feigling verwandeln. Schon jetzt kamen sie nachts hervor, verschlüsselt in Farben, Geräusche, Strukturen, um mich zu peinigen. Das Gefühl von kaltem Stein unter meiner Wange, überzogen von klebrigem, warmem Blut. Der grelle Blitz, der einen Faustschlag gegen die Schläfe begleitete. Die gutturalen Laute, das Johlen und Grunzen von Männern, die zusehen, wie jemand geschlagen wird. Solcherart waren die scharfen Krallen, die meine Versuche zu schlafen zerfetzten. Mit brennenden Augen und von Kälteschauern geschüttelt, lag ich wach neben dem Wolf und dachte an Edel. Einst hatte ich eine Liebe gehabt, von der ich glaubte, sie könne mir über alles hinweghelfen. Nun beflügelte mich ein Haß, der mindestens genauso stark war.
Wir lebten von der Jagd. Mein Entschluß, nur gekochtes Fleisch zu essen, erwies sich als undurchführbar. In vielleicht einer von drei Nächten gelang es mir, Feuer zu machen und nur, wenn unser Lagerplatz so beschaffen war, daß der helle Schein uns nicht verraten konnte. Allerdings erlaubte ich mir nicht, wieder so zu verlottern wie nach Burrichs und Chades Weggang. Ich hielt mich sauber und nahm meine Kleidung so gut in acht wie bei unserem Wanderleben nur eben möglich.
Mein Plan war sehr einfach. Ich beabsichtigte, querfeldein zu wandern, bis wir den Bocksfluß erreichten. An seinem Ufer entlang führte der Fernweg bis Turlake. Viele Menschen reisten auf dieser Straße; zwar mochte es dem Wolf schwerfallen, ungesehen zu bleiben, aber sie ermöglichte ein schnelles Vorwärtskommen. Von Turlake war es nicht mehr weit bis Fierant am Vinfluß, und in Burg Fierant gedachte ich Edel zu töten.
Weiter plante ich nicht. Ich weigerte mich, darüber nachzudenken, wie ich das alles bewerkstelligen sollte, weigerte mich, mir den Kopf über die Einzelheiten und Unwägbarkeiten zu zerbrechen. Einfach immer weitergehen, eine Hürde nach der anderen nehmen – soviel hatte ich aus meinem Dasein als Wolf gelernt.
Die Küste der Marken hatte ich während eines Sommers am Ruder von Veritas’ Kriegsschiff Rurisk kennengelernt, das Binnenland war mir weniger vertraut, nur von einer Reise ins Bergreich her, um Kettricken als Veritas’ Braut heimzuführen. Damals war ich Teil der Hochzeitskarawane gewesen, gut beritten und verpflegt. Jetzt aber war ich allein unterwegs und nur auf Schusters Rappen, und ich hatte Zeit zu schauen und mir Gedanken zu machen. Wir durchquerten unbesiedelte Gegenden, aber weite Gebiete waren früher Sommerweiden für Schafe, Ziegen und Rinder gewesen. Immer wieder stapften wir über Wiesen, auf denen das Gras brusthoch stand, und fanden die Behausungen der Viehhirten leer und verlassen. Die Herden, die wir sichteten, waren klein, kein Vergleich mit der Kopfzahl, an die ich mich aus vergangenen Jahren erinnerte. Ich sah weniger Schweinehirten und Gänsemägde als bei meiner ersten Reise durch diesen Landstrich. Als wir uns dem Fluß näherten, kamen wir an Kornfeldern vorbei, aber viel gutes Ackerland lag brach, von
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