Die Legende von Carter Prewitt
redest Unsinn, Callagher.« Allison zuckte mit den Schultern. »Nun, ich kenne deinen Hang zu makabren Gedankengängen«, fügte er dann hinzu. »Doch jetzt hast du dich selbst übertroffen.«
»Aber …«
»Mann, überleg doch mal!«, unterbrach James Allison den Banditen. »Vielleicht gelänge es uns, Carter herauszuholen. Aber würden wir ihm damit einen Gefallen erweisen? Die Herde müssten wir aufgeben. Wir wären auf der Flucht. Sicher, wir könnten nach Colorado fliehen und uns dort mit den Prewitt-Frauen, Buck und Joana treffen.« James Allison beugte sich etwas nach vorn und kniff die Augen etwas zusammen. »Aber was dann, Callagher?«
»Ich bin mit meinem Latein am Ende«, murmelte der Bandit.
»Nur du kannst erreichen, dass der Sheriff Carter wieder laufen lässt«, erklärte James Allison.
Callagher prallte regelrecht zurück. Der Schimmer des Begreifens lief über sein Gesicht. Im nächsten Moment verschloss sich seine Miene jedoch und er stieß geradezu fassungslos hervor: »Ist das dein Ernst?«
James Allison nickte. »Nur wenn du zum Sheriff gehst und Carter entlastest, hat er eine Chance.«
Callagher warf die Zigarettenkippe ins Feuer und strich sich mit Daumen und Zeigefinger über den Nasenrücken. Dann schüttelte er entschieden den Kopf. »Soll ich mich den Wölfen freiwillig zum Fraß vorwerfen?«, schnappte er schließlich und zeigte die Zähne. Es erinnerte an das Zähnefletschen einer wütenden Dogge. Aus jedem Zug in seinem Gesicht sprach trotziges Aufbegehren.
»Ich kann dich nicht zwingen, Callagher«, murmelte James Allison. »Aber du solltest darüber nachdenken.«
»Weißt du überhaupt, was du von mir verlangst?«, blaffte der Bandit. »Ist dir klar, dass sie mich aufhängen? Sehe ich vielleicht aus wie ein Selbstmörder?«
»Du, ich, alle, die da am Feuer sitzen, und auch Carter - wir waren Soldaten des Südens«, murmelte James Allison. »Und wir verfügten über ein hohes Maß an Stolz und einen – hm, Ehrenkodex, der für jeden von uns ungeschriebenes Gesetz war. Zählen diese Werte nicht mehr? Bist du schon so tief gesunken, Callagher, dass du keine Ehre mehr im Leib hast?«
»Verdammt, hüte deine Zunge!« Callaghers Gesicht veränderte sich zu einer Physiognomie des Zorns. Er fühlte sich in die Enge getrieben und das gab seiner Aggression Nahrung.
Keiner der anderen mischte sich ein. Von den Gesichtern war nicht abzulesen, was diese Männer dachten. Doch die glitzernden Augen verrieten hellwaches Interesse.
»Beruhige dich, Callagher«, murmelte James Allison. »Ich …« Allison winkte ab und verstummte. »Ach was. Ich denke, jedes weitere Wort ist vergeudet. Wirst du bei der Herde bleiben?«
»Natürlich.«
»Carter will, dass wir sie weitertreiben – unabhängig davon, ob er wieder kommt oder nicht. Ich glaube zwar nicht, dass es uns gelingt, sie nach Kansas City durchzubringen, aber wir sollten es versuchen.«
»Wir haben bewiesen, dass wir es können«, knurrte Callagher. Seine Gedanken begannen zu arbeiten. Er war egoistisch, habgierig, gewissenlos und verworfen. Und er spürte, wie nach James Allisons Ansinnen, das ihm für kurze die Fassung geraubt hatte, ein Teil seiner skrupellosen, blinden Selbstsicherheit zurückkehrte.
Die Herde würde einen gehörigen Batzen Geld einbringen. Oben in Denver warteten Corinna und Joana. Sie würden Carter Prewitts Erben sein. Corinna, weil sie seine Schwester war, Joana, weil sie mit ihrem Geld den Trail nach Missouri finanziert hatte. Wenn er - Callagher - half, die Herde durchzubringen, mussten die beiden Frauen dankbar sein – und sie würden sich als dankbar erweisen, wenn er es nur geschickt genug anstellte.
James Allisons Stimme hieb wie ein Beil in seine Gedanken und er zuckte zusammen. »Auf uns wartet die Hölle«, erklärte Allison. »Bis jetzt war der Viehtrieb ein Kinderspiel. Ab dem Colorado River aber werden die Hindernisse geradezu unüberwindbar. Darüber müssen wir uns im Klaren sein.«
Nun mischte sich wieder Link Connolly ein, indem er sagte: »Wenn du nicht nach Junction gehst, Gus, dann tue ich es.«
»Was für ein Teufel reitet dich denn?«, entfuhr es Callagher verblüfft.
»Allison hat recht. Es gab einen Ehrenkodex, dem auch wir uns unterworfen hatten. Es gilt, einem Kameraden aus der Patsche zu helfen, in die er schuldlos geraten ist. Ich denke, wir sind gefordert.«
»Du wirfst dein Leben weg«, schnappte Callagher. Er fühlte die Blicke der Männer am Feuer auf sich gerichtet
Weitere Kostenlose Bücher