Die Legende von Carter Prewitt
Treck führen, Prewitt!«, entfuhr es Joshua McGregor spontan. »Einen besseren Mann kann ich mir nicht …«
Carter Prewitt schnitt dem Prediger das Wort ab. »Darüber sprechen wir, wenn wir wissen, ob hier nicht schon Endstation für uns ist. Die Rothäute können jeden Augenblick zurückkommen. Wir sollten uns auf ihren Angriff vorbereiten.«
»Zwei unserer Männer wurden getötet«, murmelte der Prediger. Irgendwo weiter hinten weinte und schluchzte eine Frau steinerweichend. »Wir sollten ein gemeinsames Gebet sprechen«, rief McGregor. »Legen wir unser Schicksal in die Hände des Allmächtigen.«
Carter Prewitt musterte ihn zweifelnd, plötzlich aber wandte er sich ab, legte seinen Arm um Joanas Schultern und führte sie zu ihrem Fuhrwerk.
*
Das Land wirkte leer, aber die scheinbar so friedliche Stille war trügerisch und gefährlich. Eine unheilvolle Spannung füllte die Atmosphäre. Der Hauch von Gefahr, Gewalt und Tod lag in der Luft.
In den Hügeln im Osten regte sich keine Spur von Leben. Es war, als wären die Sioux vom Erdboden aufgesogen worden.
Die Verteidiger der Wagenburg warteten in dumpfer Anspannung. Sie unterhielten sich - wenn überhaupt - nur noch unterdrückt und flüsternd. Niedergeschlagenheit und die Furcht vor dem Ungewissen, vor den kommenden Stunden, zeichneten die Gesichter und flackerte tief im Hintergrund der Augen der Menschen.
In den Schatten der Prärieschoner standen Posten mit den schussbereiten Gewehren in den Händen.
Die Minuten verrannen in zäher Langsamkeit. Die Sonne hatte ihren höchsten Stand längst überschritten und in wenigen Stunden würde die Abenddämmerung kommen.
Außerhalb der Wagenburg lagen verstreut die getöteten Indianer und einige Pferdekadaver. Schwärme von Mücken stürzten sich auf sie. Hoch oben zogen Aasgeier ihre lautlosen Bahnen.
Zur Bedrücktheit im Lager gesellte sich mehr und mehr die Ungeduld. Die Stimmung wurde gereizt. Als fieberten die Eingeschlossenen der Entscheidung entgegen.
Carter Prewitt ging durchs Camp, wechselte mit diesem oder jenem Mann einige Worte und bemühte sich, Ruhe und Gelassenheit zu vermitteln. Schließlich trat er vor die Wagenburg und starrte nach Westen. Joshua McGregor gesellte sich zu ihm und meinte mit brüchiger Stimme:
»Sie wollen uns mürbe machen.« Er räusperte sich. »Was meinen Sie, wann werden sie kommen?«
»Wahrscheinlich mit der Abenddämmerung«, gab Carter Prewitt Auskunft, zuckte mit den Achseln und fügte hinzu. »Aber das ist nur meine Vermutung. Ich habe nur Erfahrung mit den Apachen. Allgemein gilt, dass die Rothäute – egal ob Apachen, Comanchen oder Sioux -, schwer einzuschätzen sind. Sicher ist nur, dass sie angreifen werden, wenn sie uns ihrer Meinung nach genügend weich gekocht haben. Wann das sein wird, das weiß nur der Satan.«
McGregor bekreuzigte sich. War es wegen Carter Prewitts Wortwahl, oder wegen der Zuversichtslosigkeit, die in seinen Ausführungen zum Ausdruck kam? »Der Herr ist mit uns!«, stieß McGregor plötzlich mit Nachdruck hervor. Seine Augen leuchteten fanatisch. Sein plötzlicher Enthusiasmus sank jedoch sehr schnell wieder in sich zusammen und das Lodern in seinen Augen erlosch. Bedrückt fragte er: »Wie schätzen Sie unsere Chance ein?« Seine Stimme vibrierte.
Wieder zuckte Carter Prewitt mit den Achseln. Er bemerkte den verstörten Gesichtsausdruck McGregors und formulierte seine Antwort vorsichtig: »Ich denke, dass wir eine Chance haben.« Es klang nicht sehr überzeugend. Etwas gefestigter sprach er weiter: »Die Indsmen haben sich beim ersten Ansturm blutige Nasen geholt, und das wird sie das nächste Mal Vorsicht walten lassen. Wenn sie angreifen, müssen sie eine halbe Meile übersichtlichen Terrains überwinden. Das heißt, Sie können uns nicht überraschen. - Kommen sie nicht mit der Abenddämmerung, ziehen wir im Schutze der Nacht weiter.« Er machte eine kurze Pause, dann schränkte er ein: »Aber das schiebt das Problem nur hinaus. Wenn die Nacht vorbei ist, haben wir sie wieder auf dem Hals, und unser Handicap wird sein, dass wir dann total übermüdet sind.«
Sie kehrten in die Wagenburg zurück. Ein paar Männer waren damit beschäftigt, zwei Gräber auszuheben. Sie waren für die beiden Männer bestimmt, die dem Angriff der Sioux zum Opfer gefallen waren.
Die Zeit verstrich unerbittlich. Schließlich stand die Sonne weit im Westen. Die Schatten wurden länger. Die Menschen in der Wagenburg bereiteten sich auf den
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