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Die Legende von Carter Prewitt

Die Legende von Carter Prewitt

Titel: Die Legende von Carter Prewitt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pete Hackett
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werden sollte.
     
    *
     
    Es war Mittagszeit. Heather McGregor löschte mit einem feuchten Lappen, was sie im Laufe des Vormittags mit Kreide auf die große Tafel geschrieben hatte. Insgesamt elf Kinder – sie waren zwischen sechs und zwölf Jahren -, saßen an den niedrigen Tischen in dem engen Klassenzimmer. Auch Amos und Ann Prewitt waren unter ihnen.
    Die Tafel war gesäubert. Heather legte den Lappen weg und wandte sich den Schülern zu. »Ihr könnt nach Hause gehen, Kinder. Und morgen Früh um acht Uhr erwarte ich euch alle wieder.« Heather lächelte. »Kommt gut heim. Und lest euch noch einmal durch, was ihr heute notiert habt. Morgen steht Rechnen auf dem Stundenplan. Ich hoffe, das ist für keinen von euch ein Grund, die Schule zu schwänzen.«
    Die Kinder sprangen auf, packten hastig ihre Schulsachen zusammen, dann verließen sie das Klassenzimmer, und gleich darauf rannten sie lärmend aus der Schule.
    Auf der Straße stand ein leichter Einspänner ohne Verdeck. In dem Wagen saß Corinna Prewitt. Auf ihrem Kopf saß ein dunkelgrüner Hut mit einer schmalen Krempe. Auch das Kostüm, das sie trug, war von dunkelgrüner Farbe. Amos und Ann stiegen zu ihrer Tante in den Buggy. »Wieso holst du uns heute ab, Tante Corinna?«, fragte Amos.
    »Ich hatte Zeit«, murmelte die verbitterte Frau und starrte mit unergründlichem Blick auf die Tür der Schule.
    Einige Zeit verstrich. Die lärmenden Kinder waren verschwunden. Das Pferd vor dem Buggy kratzte mit dem Huf und peitschte mit dem Schweif nach den blutsaugenden Bremsen an seinen Flanken.
    »Warum fährst du nicht los, Tante?« Es war Ann, die dies fragte.
    »Einen Moment noch, Kinder.« Corinna wandte ihren Blick nicht von der Tür. Ihr Gesicht war maskenhaft starr. Nur die Augen schienen darin zu leben.
    Wieder verstrich einige Zeit. Schließlich wurde die Tür aufgezogen und Heather trat auf den Vorbau. Sie sah Corinna und blieb stehen, als wäre sie gegen eine unsichtbare Wand gelaufen. Das Unbehagen, das ihr diese Begegnung bereitete, stand ihr jäh ins Gesicht geschrieben.
    Corinna Allison starrte die Lehrerin an. Ihr Blick verhieß nichts Gutes. Heather spürte den Anprall eines verzehrenden Hasses. Das gehässige Glitzern in Corinnas Augen entging ihr nicht. Ihr Herzschlag beschleunigte sich, etwas in ihr verkrampfte. Sie verspürte ein Würgen in der Kehle und schluckte.
    Sekunden verstrichen. Die Blicke der beiden Frauen hatten sich regelrecht ineinander verkrallt.
    Die Lähmung fiel schließlich von Heather ab. Sie überwand sich, stieg vom Vorbau und trat an den Buggy heran. »Hallo, Corinna, du warst lange nicht mehr in der Stadt.«
    »Fahr zur Hölle!«, fauchte Corinna mit verzerrtem Gesicht und trieb unbeherrscht das Pferd an. Das erschreckte Tier legte sich ruckartig ins Geschirr, der leichte Wagen wurde regelrecht von der Stelle gerissen. Heather sprang im letzten Moment zur Seite, ehe sie vom Rad erfasst wurde.
    Eine Staubfahne hinter sich herziehend jagte das Gespann die Straße hinunter.
    Heather starrte dem Buggy hinterher. Der Schrecken pulsierte durch ihre Adern. Aber dann kam das Begreifen - stürmisch und wie ein Blitz fuhr es in ihr Bewusstsein. Es war nichts anderes als eine Kriegserklärung gewesen. Corinna Prewitt hatte ihr in aller Öffentlichkeit den Fehdehandschuh hingeworfen. Die Erkenntnis legte sich tonnenschwer auf die junge Frau.
    Als sie angesprochen wurde, zuckte sie zusammen. »Alles in Ordnung, Miss McGregor?«
    Heather drehte den Kopf und blickte in das Gesicht des Town Marshals.
    »Ja«, murmelte Heather nickend. Und dann noch einmal, und zwar mit gefestigter Stimme: »Ja.« Schnell ging sie davon.
    Gedankenvoll schaute ihr Chuck Haines hinterher. Er hatte alles beobachtet, und was er gesehen hatte, gefiel ihm nicht. Heather hatte sowieso schon einen schweren Stand in Rock Creek. Die meisten der Frauen betrachteten sie als gemeine Sünderin, unmoralisch, verdorben und verwerflich, die sich seit Jahren einem verheirateten Mann hingab und sogar ein Kind mit ihm hatte, und verachteten sie. Dass sie als Lehrerin fungieren durfte, verdankte sie lediglich der Tatsache, dass es außer ihr in Rock Creek niemand gab, der für diesen Job geeignet gewesen wäre. Es war jedoch so, dass nicht alle der oftmals noch ausgesprochen puritanisch denkenden Bürger ihre Kinder zur Schule schickten. Aus ihrer Sicht lästerte Heather aufgrund ihres sündigen Lebenswandels Gott, man unterstellte ihr eine niedrige Gesinnung und fürchtete,

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