Die Legende von Richard und Kahlan 01 - Goodkind, T: Legende von Richard und Kahlan 01 - The Omen Machine
Balkontüren dort waren verriegelt, das Zimmer dunkel. Vielleicht war Kahlan ja hineingegangen und hatte die Türen abgeschlossen, aber eigentlich hielt er das für ausgeschlossen, es ergab keinen Sinn. Hätte sie sich vor irgendetwas gefürchtet, hätte sie sich an die Posten oder die Mord-Sith gleich vor ihrer Schlafzimmertür gewandt.
Statt die Tür aufzubrechen, wählte Richard denselben Weg, den vermutlich auch Kahlan genommen hatte, und hastete die Treppenfluchten hinunter, bis er schließlich unten auf dem Palastgelände anlangte.
Das durch den dünnen Wolkenschleier dringende Mondlicht war nicht eben hell, aber immerhin hell genug, dass er Kahlans Stiefelabdrücke erkennen konnte. Dank seiner langen Erfahrung als Spurensucher konnte er auch ihren unverwechselbaren Gang identifizieren. Ihre Art zu gehen, die Abdrücke, die sie dabei hinterließ, waren für ihn ein ebenso offenes Buch wie ihre Gesichtszüge.
Es bestand kein Zweifel: Kahlan war über diese Treppe an der Außenmauer des Palasts zu den Außenanlagen oben auf dem Hochplateau hinabgestiegen.
Am meisten machte er sich Sorgen, weil anhand der Abdrücke unschwer zu erkennen war, dass sie nach Leibeskräften gerannt sein musste. Er hielt nach weiteren Fußabdrücken Ausschau, den Abdrücken eines möglichen Verfolgers, doch die gab es nicht.
Es ergab einfach keinen Sinn.
Er stand da und starrte in die Ferne, über das dunkle Hochplateau. Vor was mochte sie davongelaufen sein?
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In der Ferne lagen kunstvoll angelegte, von mäandernden Wegen durchzogene Gärten, das näher am Palast gelegene Gelände hingegen, dort, wo Richard am Fußende der Treppe herausgekommen war, bestand aus einer weiten Bereitstellungs- und Ladezone, wo die für den Palast bestimmten Waren und Güter angeliefert wurden. Obschon die meisten Palastbesucher den Weg durch die im Innern des Hochplateaus gelegenen Treppen wählten, gab es hier, zwischen den Gärten und dem Bereitstellungsgelände, einen imposanten Säulenvorbau, der bedeutende zu Pferd oder per Kutsche am Palast eintreffende Gäste willkommen hieß. Durch diesen Eingang gelangten die Palastgäste in die prachtvollen Korridore und eigens für sie bestimmten Bereiche. Ein wenig näher bei Richard befanden sich, in einem weniger gut beleuchteten Bereich, die Stallungen und Lieferanteneingänge.
Er konnte die Umrisse von Dutzenden von Wagen und Kutschen erkennen, die hier entweder abgestellt waren oder gerade beladen wurden. Von den Stallungen wurden Pferde herbeigeführt, sei es, um sie zu satteln oder vor die Wagen zu spannen. Selbst jetzt, mitten in der Nacht, waren mehrere Abgesandte damit beschäftigt, zu packen und den Palast zu verlassen. Es herrschte eine rege Geschäftigkeit. Allerdings traf niemand im Palast ein; sämtliche Wagen waren im Begriff, den Palast zu verlassen.
Er folgte Kahlans Fußspuren, ihrem Weg, den sie im Dunkeln über das Hochplateau genommen hatte. Offenbar war sie so schnell gerannt wie sie nur konnte. An gewissen Eigenarten, etwa wie ein Abdruck da und dort durch eine Drehung des Fußes verwischt war, konnte er erkennen, dass sie sich im Laufen nach etwas umgedreht haben musste, das sie verfolgte. Wäre sie etwas oder jemandem hinterhergerannt, hätten die Abdrücke anders ausgesehen.
Nur ergab das keinen Sinn; es gab keine Abdrücke irgendwelcher Verfolger, und doch konnte er aus ihren Spuren deutliche Anzeichen von Angst herauslesen. Was immer sie verfolgt hatte, muss demnach entweder geflogen sein oder aber – diese Möglichkeit musste er durchaus in Betracht ziehen – sie war vor ihren eigenen, vom Fieber erzeugten Wahnvorstellungen davongelaufen.
Die Prophezeiung der Maschine, dass Hunde sie ihm rauben würden, war allerdings alles andere als eine Wahnvorstellung. Wenigstens waren keine Hundespuren zu sehen.
Dann plötzlich, mitten zwischen Huf- und Wagenspuren, endeten Kahlans Fußabdrücke einfach.
Er bückte sich, auf ein Knie gestützt, um sich die Spuren genauer anzusehen – und entdeckte ihren letzten Abdruck, als sie sich mit dem Fußballen abgestoßen hatte. An dieser Stelle hatte der Abdruck eine deutlichere Vertiefung mit ausgeprägteren Rändern hinterlassen – offenbar, als sie auf irgendetwas aufgesprungen war, höchstwahrscheinlich auf einen Wagen oder eine Kutsche.
Mit einem eiskalten Angstgefühl wurde ihm bewusst, dass Kahlan verschwunden war. Ihm war vollkommen schleierhaft, was geschehen war, oder warum sie auf diese Weise fortgelaufen sein sollte,
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